Wer seine berufliche Zukunft in einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft sieht, wird früher oder später mit Fragen konfrontiert wie diesen: Muss ich unbedingt BWL studieren? Was, wenn sich mein Studium etwas in die Länge zieht? Soll ich bei einem der Big Four oder bei einem Mittelständler einsteigen? Welche Möglichkeiten bleiben mir, wenn ich am Wirtschaftsprüfer-Examen scheitere? Muss ich als Wirtschaftsprüfer:in Angst haben, durch die Digitalisierung überflüssig zu werden? hitech-campus.de hat sich in der Branche umgehört.
„Wer in der Wirtschaftsprüfung arbeiten will, studiert BWL!“ – so die gängige Vorstellung. Aber wie zeitgemäß ist diese Aussage noch? Keine Frage: Der Beruf erfordert umfassendes betriebswirtschaftliches Wissen, doch Andreas Noodt, Partner bei der FIDES Treuhand GmbH & Co. KG erklärt: „Wir beschränken uns bei der Suche nach qualifizierten Bewerber:innen nicht auf eine bestimmte Fachrichtung. Neben Absolvent:innen der Wirtschaftswissenschaften freuen wir uns beispielsweise auch über Bewerbungen von Rechtswissenschaftler:innen, Informatiker:innen und Mathematiker:innen. Das hat auch mit der Bandbreite der Leistungen moderner Wirtschaftsprüfungsgesellschaften zu tun. Wir bieten nicht nur Wirtschaftsprüfung, sondern auch Steuerberatung, Unternehmerberatung und IT-Beratung.“ Neben den klassischen Fachrichtungen Wirtschaftswissenschaften und Rechtswissenschaften sind daher insbesondere Absolvent:innen aus den MINT-Studiengängen begehrter denn je. Fast wichtiger als der Studiengang sind eine ausgeprägte Affinität zu Zahlen und ein Verständnis von Geschäftsmodellen und Prozessen. Andreas Noodt ergänzt, dass außerdem Kontaktfreudigkeit im Umgang mit den Mandanten von großer Bedeutung sei: „Unsere Aufgaben ergeben sich oft im Gespräch mit den Mandanten, daher muss man dazu in der Lage sein, die Mandanten abzuholen, sie zu beraten und Empfehlungen zu geben. Es reicht nicht nur, Paragraphen zu präsentieren.“
Doch was, wenn sich das Studium etwas hinzieht? Oft wird behauptet, eine Karriere in der Wirtschaftsprüfung sei nur mit einem schnörkellosen Lebenslauf möglich. Andreas Noodt gibt Entwarnung: „Den klassischen Lebenslauf muss ein:e Bewerber:in bei uns nicht unbedingt mitbringen. Wir sehen es als Vorteil an, wenn Bewerber:innen vor ihrem Studium eine Ausbildung absolviert haben. Auch Absolvent:innen, die nach einer Neuorientierung ihr Studienfach gewechselt und dadurch länger studiert haben, lehnen wir nicht von vorherein ab. Wenn jemand zum Beispiel erst mit Maschinenbau begonnen hat und dann doch lieber Wirtschaftswissenschaften machen will – warum nicht? Wenn er Leidenschaft für den Beruf mitbringt, steht er dem/der klassischen Bewerber:in in nichts nach.“
„Wir brauchen Leidenschaft für die Wirtschaftsprüfung“
Auch ein Reisejahr, Mitarbeit im Bereich Entwicklungshilfe oder Engagement in der Hochschulpolitik weiß man bei FIDES Treuhand zu schätzen. Schließlich helfen alle diese Erfahrungen einem jungen Menschen, sich weiter zu entwickeln. Solange das längere Studium sinnvoll begründet werden kann, stelle es kein Problem bei der Bewerbung dar. Durch solche Ausflüge im Lebenslauf erwirbt man schließlich oft auch attraktive Zusatzqualifikationen wie interkulturelle Kompetenzen oder Sprachkenntnisse.
Bleibt die Frage, bei welcher Wirtschaftsprüfungsgesellschaft man sich bewerben möchte. Soll es eine der Big Four sein? Namentlich sind dies PwC, Ernst & Young, KPMG und Deloitte. Oder doch lieber ein mittelständischer Player wie FIDES Treuhand oder die Warth & Klein Grant Thornton AG? Thorsten Esser, Senior Manager im Geschäftsbereich Audit bei Warth & Klein Grant Thornton, erklärt, was für einen mittelständischen Arbeitgeber spricht: „Bei einer mittelständischen Prüfungsgesellschaft wie Warth & Klein Grant Thornton erhält man auch schon als Berufseinsteiger:in die Möglichkeit, innerhalb kurzer Zeit ein großes Spektrum an Unternehmen verschiedener Branchen kennenzulernen. Ein starrer Branchenfokus ist im Mittelstand regelmäßig nicht gegeben. Aufgrund der geringeren Größe unserer Mandate im Vergleich zu den Big Four erhält man auch als Berufseinsteiger:in schnell einen ganzheitlichen Überblick über ein Unternehmen und dessen Geschäftstätigkeit und tritt auch in direkten Kontakt zu den Entscheidungsträgern und Unternehmenseigentümern. Als Prüfungsassistent:in wird man in der Regel direkt mit auf ein Mandat genommen und dort ‚on the job‘ eingearbeitet.“
Auch Andreas Noodt bereut seine damalige Entscheidung für einen Mittelständler nicht. Besonders angetan ist er von den flachen Hierarchien: „Bei uns sieht man die Partner:innen nicht nur mal eben auf dem Flur, sondern man hat auch direkt mit ihnen zu tun, arbeitet zusammen und kann voneinander lernen.“ Häufig vorgebrachtes Argument für einen Einstieg bei den Big Four ist indes die globale Ausrichtung der Platzhirsche. So bieten die Großen auch schon Berufseinsteiger:innen die Möglichkeit, in internationalen Projekten mitzuwirken. Doch auch die Mittelständler holen in diesem Bereich auf. Die FIDES Treuhand beispielsweise ist Mitglied bei Praxity, der weltweit größten Allianz selbständiger und unabhängiger Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaften. „Dank Praxity war einer unserer Mitarbeiter vor kurzem in den USA und aktuell arbeiten wir an einem Austausch mit einer Prüfungsgesellschaft in Australien“, so Andreas Noodt, der die Antwort auf die Frage „Big Four versus Mittelstand“ ganz bildlich zusammenfasst: „Am Ende muss sich ein:e Bewerber:in die Frage stellen, ob er lieber auf einem Flugzeugträger oder auf einem Schnellboot tätig sein möchte.“
Ist der Berufseinstieg gemacht und sind mindestens drei Jahre Berufspraxis gesammelt, wartet am Ende der Ausbildungszeit das anspruchsvolle Wirtschaftsprüferexamen. Dieses gilt nicht zu Unrecht als eine der härtesten Prüfungen überhaupt. Entsprechend hoch ist die Durchfallquote. Laut der Wirtschaftsprüferkammer haben im Jahr 2015 gerade einmal 53 Prozent der Prüflinge bestanden. Alles kein Weltuntergang meint Andreas Noodt: „Selbst wenn man final durchgefallen ist, bleiben trotzdem genug andere Alternativen: Man kann beispielweise noch andere Prüfungen ablegen wie die zum Certified Public Accountant, was dem Amerikanischen Wirtschaftsprüfer entspricht, oder die zum Unternehmensbewerter (Certified Valuation Analyst). Oder man entwickelt sich in Richtung IT: Beim Institut der Wirtschaftsprüfer ist es neuerdings etwa möglich, den Abschluss IT-AuditorIDW zu machen. Außerdem steht es einem offen, in den Bereich Unternehmensberatung zu gehen. Dazu braucht man nicht zwingend Wirtschaftsprüfer:in zu sein. Als Unternehmensberater:in beschäftigt man sich mit Transaktionen, Firmen die eine Restrukturierung brauchen, Businessmodellierung, Unternehmensfusionen und -übernahmen oder der Frage, wie der Mandant sein Unternehmen in die nächste Generation überführt – nicht weniger spannend.“
So oder so, wer in einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Fuß fasst, hat gute Zukunftsaussichten. Die Sorge, der technologische Fortschritt könnte den Berufsstand des Wirtschaftsprüfers überflüssig machen, hält Thorsten Esser von Warth & Klein Grant Thornton für unbegründet. Der Wirtschaftsprüfer entwickle sich weg vom klassischen Hakenmacher hin zu einem Forensiker, der durch geschickten Einsatz von Prüfungssoftware umfassendere und tiefergehende Prüfungshandlungen vornehmen könne als noch zu Zeiten der rein analogen Prüfung. IT-Tools und künstlicher Intelligenz sei Dank rücken repetitive Tätigkeiten immer stärker in den Hintergrund und geben dem einzelnen Prüfer mehr Raum für die Analyse von Geschäftsprozessen.
Andreas Noodt betont darüber hinaus die Beraterrolle von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften: „Man ist der Berater des Mandanten. Die Mandanten kommen nicht zu uns, weil sie einen Stempel haben wollen, sondern weil sie eine ganzheitliche Beratung wünschen. Jahresabschlussprüfungen sind natürlich wichtig und besonders dort setzten die Mandanten auch ihr Vertrauen in uns. Aber es ist in erster Linie die Beratung, die uns ausmacht. Die Frage, wie ich meine Firma am besten auf die nächste Generation übertrage, wird ein Computer nicht beantworten können. Man bedenke nur den menschlichen Faktor: Ist der eine Sohn als Nachfolger vielleicht besonders geeignet und der andere weniger – das kann ein Computer nicht entscheiden.“
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Stand: Frühjahr 2017