In den vergangenen Monaten waren Welt und Wirtschaft beinahe hilflos den Auswirkungen der Pandemie ausgesetzt, die schwere Einbrüche und die schlimmste Rezession seit 100 Jahren mit sich brachte. Dessen langfristige Folgen werden sich wohl erst in den nächsten Jahren zeigen, dennoch hat Corona insbesondere den Handel bereits jetzt maßgeblich verändert.
Während sich die Wirtschaft nach ihrem Einbruch von April bis Juni um fast zehn Prozent langsam erholt, haben Verbraucher ihren Konsum wie auch Verhaltensweisen an die neuen Zustände angepasst. Der E-Commerce verzeichnet im Vergleich zu den Umsätzen des ersten Quartals einen deutlichen Boom, der sicherlich nicht zuletzt dem Lockdown zu verdanken ist. Ein unter normalen Umständen zehnjähriger Anstieg des E-Commerce wurde dieses Jahr in nur knapp acht Wochen verzeichnet.
Dem Boom des Online- und Versandhandels steht dennoch ein allgemeiner Rückgang des Konsums gegenüber, Verbraucher reduzieren ihre nicht unbedingt notwendigen Ausgaben, das ist nicht weiter überraschend. 630 000 Arbeitslose mehr sind es derzeit im Vergleich zum Vorjahr, noch im Juni meldete die Bundesagentur für Arbeit 5,36 Millionen Menschen in Kurzarbeit in Deutschland.
Corona verändert den Handel und trifft die Mode- und Textilbranche besonders schwer
Angesichts der finanziell schwierigen Lage sehen viele Betroffene daher von großen Ausgaben ab, der Fokus liegt auf Produkten des unmittelbaren Bedarfs, weniger auf nicht essentiellen Waren wie Kosmetika oder Luxusartikeln. So verzeichnet der Einzelhandel mit Waren verschiedener Art, darunter auch Waren- und Kaufhäuser, etwa Einbußen von 14,5 Prozent, auch die Geschäfte mit Textilien, Bekleidung, Schuhen und Lederwaren sinken um 8,0 Prozent. Im Falle eines Kaufes präferieren Verbraucher allgemein vor allem die vertrauten und global führenden Marken. Geht der Modehandel gegenwärtig zwar als Verlierer aus der Krise hervor, hat sich der Lebensmittelhandel bereits wieder erholt. Der Facheinzelhandel mit Lebensmitteln erwirtschaftet erstmals wieder mehr Umsatz als im Vorjahr, im ersten Halbjahr 2020 hat er sich um 15 Prozent erhöht. Aus Sorge vor einer Ansteckung im Supermarkt stiegen manche Kunden sogar auf Onlineshops für Lebensmittel um, die Supermarktkette Rewe investierte beispielsweise massiv in ihren Lieferdienst. Besonders rentabel dürfte das jedoch nicht sein, ein erneuter Boom wie im März und April ist unwahrscheinlich. Der Aufschwung war vor allem durch die zur gleichen Zeit bestehenden Kontaktbeschränkungen und Ausgehverbote bedingt.
Bewussterer Konsum dank Corona
Edit Dezember 2020: Eine Umfrage unter Mode-Kund:innen zeigt, dass der Konsum deutlich bewusster wird. Kein Wunder, denn mit dem zweiten Lockdown steigen Zukunftssorgen, werden Entscheidungen bewusster reflektiert und das Große ganze betrachtet. Konsum wandelt daher die Perspektive – von der akuten Wunsch- und Bedürfniserfüllung hin zu einer langfristigeren Denkweise. „Es findet eine Verschiebung bei der Sortimentsnachfrage statt, der Anteil an Online-Käufen wächst signifikant weiter, und der Konsum ist bewusster geworden. Dies zeigt sich ohne relevante Unterschiede gleichermaßen bei den befragten Kund*innen und Nicht-Kund*innen von bonprix.“ Dass die Bademode beispielsweise absinkt (siehe Infografik von Bonprix), ist eine klare Konsequenz des nicht-Urlaubs dieses Jahr. Die vollständige Meldung und Hintergründen zur Umfrage findest du hier.
Digitale Produkte für die Gesundheit sind beliebter
Auffällig ist, dass Konsumenten – wenn nicht online – lieber Einkaufsgeschäfte nahe des eigenen Zuhauses aufsuchen und mehr Bio-Produkte kaufen als zuvor. Letzteres ist nicht weiter verwunderlich nach einem monatelangen Ausnahmezustand, durch den der Fokus bei Verbrauchern auf Gesundheit und Hygiene liegt – kaum etwas ist wichtiger für den Erhalt der Gesundheit als eine gesunde Ernährung. So hat sich das monatliche Umsatzwachstum bei Ökoprodukten im März im Vergleich zu Januar und Februar mehr als verzehnfacht, biologisch angebaute, natürliche und frische Produkte sind damit wichtiger Bestandteil der Selbstpflege. Zu letzterer gehört auch Bewegung und Sport, das Coronavirus schränkte die meisten jedoch wochenlang stark in ihren Aktionsmöglichkeiten ein. Zwangsweise stiegen viele auf Sport im Wohnzimmer um, das Angebot von On-Demand-Workouts und Online-Fitness boomt. Doch so viele Möglichkeiten es gibt, sich durch Online-Angebote der körperlichen und geistigen Pflege zu widmen, der außer Haus Besuch beim Arzt war bisher bei einer Erkrankung unvermeidbar. Da dies vor allem in Zeiten eines strengen Lockdowns erschwert wurde, beschleunigte die Corona-Pandemie den Trend von Telemedizin, durch die Diagnostik und Therapie, etwa mit Ärzt:innen, Therapeut:innen, Apotheker:innen und Patient:innen, virtuell durchgeführt werden kann. Durch Online-Praxen und -pharmazie können derzeit auch von zuhause aus ärztliche Termine wahrgenommen werden, meist schneller und weniger umständlich als bei der herkömmlichen Variante.
Das eigene Heim ist für Konsumenten zum Multiversum geworden
Der allgemeine Unwille der Menschen ihr eigenes Haus zu verlassen ist mehr als deutlich. Das Coronavirus zwang den Tourismus in die Knie zwang und unterband das internationale Reisen. Selbst öffentliche Verkehrsmittel und überfüllte Haltestellen werden gemieden, auch der inländische Tourismus ist bisher noch überschaubar. Mit dem Schreck der Pandemie in den Knochen stellt sich die Frage, ob sich die inzwischen recht gefestigte „Ich-bleibe-lieber-zuhause“- Einstellung nach der Krise wieder ändern wird, denn das eigene Heim hat in der Pandemie einen neuen Stellenwert als Rückzugsort gewonnen. Nebst der Arbeit wird hier auch gegessen, sich unterhalten und Zeit mit Familie und Freunden verbracht, während sozialer Isolation gestalteten viele das traute Heim zusätzlich zu einem vielseitigem Lebensort um – Coffee-Shop, Restaurant und Unterhaltungszentrum zugleich befinden sich nun gut und gerne mal innerhalb der eigenen vier Wände. Dadurch ergibt sich für den Online-Handel ein großer Marktvorteil, Heimlieferungen und Produkte, die zu Hause genutzt werden können, sind beliebter denn je. Google gab unter seinen aktuellen Top-Kategorien des Handels etwa Hula-Hoop-Reifen, Schreibtische, Swimmingpools oder Gartenschläuche an – im zweiten Quartal wuchs das Geschäft im Internet um 16,5% im Vergleich zum Vorjahr. Insbesondere das digitale Entertainment verzeichnet enorme Umsätze, der Streaming-Anbieter Disney+ konnte seine Abonnenten innerhalb von fünf Monaten mehr als verdoppeln und erreicht damit, wofür Netflix ganze sieben Jahre brauchte.
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Der stationäre Handel muss sich jetzt neu erfinden
COVID-19 ist noch nicht vorbei und hat schon jetzt Veränderungen mit sich gebracht, die Welt und Wirtschaft langfristig prägen werden. Der digitale Wandel zeichnet sich dabei besonders deutlich am Erfolgslauf des E-Commerce ab und macht stationärem Handel bewusst, dass ihre klassischen Modelle nicht mehr oder nur teils funktionieren. Vor allem für Informatiker könnten sich daher interessante Chancen ergeben, ihre Kenntnisse im Handel einzubringen und die digitale Weiterentwicklung voranzubringen. Das betrifft auch den Online-Handel, denn in Sachen Logistik, Abwicklung und Kundenkommunikation ist auch hier noch viel aufzuholen. Sehen Unternehmen diese Defizite mehr als Herausforderung und weniger als Problem, könnte dies eine Chance darstellen. Durch das neue Käufer- und Verbraucherverhalten ergeben sich auch neue Handlungs- und Marktmöglichkeiten, diese können genutzt werden, um in wie auch nach der Krise wettbewerbsfähig zu bleiben.
Text von Lisa Miethke.