Riesige Aktenschränke und zentimeter-dicke Patientenakten adé! So wie in jedem Bereich hat die Digitalisierung schon längst Einzug in das deutsche Gesundheitswesen gehalten – jedoch eher schleppend. Denn Deutschland belegte in einem Ranking der Bertelsmannstiftung in Sachen Digital-Health den 16. Platz von 17 untersuchten Ländern. Wie der Sprung in ein digitales Gesundheitswesen dennoch gelingen kann und welche Rolle junge IT-Absolvent:innen dabei spielen, erfährst du hier.
Gesundheits-IT oder auch Health-IT ist der Teil des IT-Bereichs, der sich auf Design, Innovation, Entwicklung, Erstellung, Nutzung und Wartung von IT-Systemen innerhalb des Gesundheitswesens konzentriert. Kurzum: alle Informationstechnologien, die zur Unterstützung und Verbesserung des Gesundheitswesens beitragen. Ein wichtiger Teil der digitalen Zukunft sind sogenannte Gesundheitsinformationssysteme. Diese IT-Systeme optimieren und beschleunigen Prozesse innerhalb der Organe des Gesundheitswesens und verschlanken die oft noch relativ langsamen Verwaltungsprozesse – ganz zum Vorteil der Ärzt:innen und Patient:innen.
Diese – auf das Gesundheitswesen angepassten – IT-Systeme sollen eine bestmögliche und individuelle medizinische Versorgung der Patient:innen ermöglichen, die Effizienz der innerbetrieblichen Arbeitsprozesse erhöhen, Fehler in der Behandlung reduzieren und letztendlich Kosten senken. Außerdem soll eine höhere Zufriedenheit der Patient:innen erreicht sowie der finanzielle Aufwand für ambulante und stationäre Gesundheitsdienstleister verringert werden. Von diesen Vorstellungen ist das deutsche Gesundheitssystem bis dato weit entfernt.
Aber grundsätzlich muss man sagen, dass es in Deutschland weder an Technologien noch an Innovationspotenzial für ein besseres beziehungsweise digitales Gesundheitswesen fehlt. Seit vielen Jahren gibt es vielversprechende digitale Projekte in der Gesundheitsversorgung. Problem: Diese Projekte bleiben in der Regel auf regionaler Ebene oder beschränken sich auf einzelne Versorger und schaffen somit nicht den Sprung auf die nationale Regelversorgung.
Das Konzept „Apps auf Rezept“
Der Themenkomplex „Gesundheits-IT“ geht aber noch weit über die Grenzen der Krankenhäuser und Praxen hinaus: Wir leben in einer Periode der sich rasant entwickelnden Technik und Innovation, in der fast jede:r ein Smartphone besitzt. Es ist ein Leichtes, sich mit Apps und Webanwendungen Gesundheitsbetreuung für die Hosentasche zu holen. Längst gibt es Apotheken-zertifizierte Apps, die Patient:innen auch außerhalb des Krankenhausgebäudes bei der Genesung und Prävention von Krankheiten unterstützen. Mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz hat der Bundestag 2019 den Weg für digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) frei gemacht, die teilweise sogar von Krankenkassen erstattet werden. Wer jetzt denkt, dass der App-Store zukünftig mit dubiosen und ungeprüften Gesundheits-Apps zu bombardiert wird, ist eindeutig auf dem Holzweg! Gesundheits-Apps werden in der Regel von staatlichen Organisationen oder von den Krankenkassen selbst auf Herz und Nieren überprüft – um so eine App auf die Beine zu stellen, braucht es also deutlich mehr als „nur“ IT-Know-how. Das Konzept „Apps auf Rezept“ ist längst keine Zukunfts-Utopie mehr und nur einer von vielen Schritten in ein digitalisiertes Gesundheitswesen. Das heißt, Jobs gibt es nicht nur als Gründer:in und App-Entwickler:in, sondern beispielsweise auch bei den Krankenkassen, Krankenhäusern selbst (beispielsweise bei der Sana IT Services GmbH) sowie bei Dienstleistern für selbige. Nicht jede Klinik oder Klinikgruppe hat die vollständige IT intern organisiert.
Digitalisierung ist definitiv nicht günstig, egal in welcher Branche. Doch wie soll das Ganze finanziert werden? Nun, die Verantwortung für das Gesundheitswesen tragen die jeweiligen Bundesländer selbst – denn Gesundheit ist Ländersache. Aber besondere Zeiten, wie die aktuelle COVID-19 Pandemie, erfordern besondere Maßnahmen. Deshalb wurden von staatlicher Seite 3 Milliarden Euro im Zuge des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG), für die Verbesserung der digitalen Infrastrukturen innerhalb der Gesundheitssysteme in ganz Deutschland freigegeben. Auf Landesebene wurden 1,3 Milliarden Euro freigegeben. Insgesamt stehen also 4,3 Milliarden Euro zur Verfügung. Dieses Geld dient zur Finanzierung von elf festgelegten Projekten zur Optimierung und Digitalisierung des Gesundheitswesens, jedoch müssen 15 Prozent (circa 645 Millionen Euro) der gesamten Summe zur Verbesserung der IT-Sicherheit eingesetzt werden. Beispielhaft für die elf Projekte ist das Projekt 1, in dem es um die Digitalisierung der Notaufnahme geht oder das Projekt 8, in dem es um das onlinebasierte Versorgungsnachweissystem für Betten geht. Grundsätzlich ist die Fördersumme nur so hoch, weil die aktuell grassierende Corona-Pandemie der Politik verdeutlicht hat wie groß der Nachholbedarf in Sachen Digitalisierung des deutschen Gesundheitssystems ist. Manchmal braucht es einen überpotenten Auslöser um Veränderung voranzutreiben.
Digital Health hat ein Interoperabilitätsdilemma
Hochtechnologisierte IT-Systeme sind schön und gut, aber wenn die Kommunikation untereinander nicht klappt, weil jedes Unternehmen oder jede Einrichtung anders strukturiert ist, dann entwickeln sich Probleme für Patient:innen, die nicht einfach zu lösen sind oder deren Existenz schlichtweg völlig unnötig ist. Um das Problem zu verdeutlichen: Die richtigen Zutaten sind vorhanden. Doch es mangelt an den passenden Rezepten, der richtigen Zusammenarbeit in der Küche und an einem Küchenchef, der dafür sorgt, dass es mit dem Teamwork klappt. Hier schaffen Gesundheits-IT-Systeme Abhilfe. Als Bindeglied zwischen Informationstechnologie und traditionellen medizinischen Versorgungsstrukturen könnte die Interoperabilität der bereits existierenden Gesundheits-Institutionen gefördert werden, sodass das „Teamwork innerhalb der Küche“ verbessert wird.
Um dieses Teamwork zu verbessern, hat die Bundesregierung im Oktober 2021 die Interoperabilitäts-Governance-Verordnung (GIGV) verabschiedet. Ziel des GIGV soll es sein, dass eine eigens dazu eingerichtete Koordinationsstelle Anträge zur Aufnahme von Standards, Profilen und Leitfäden entgegennimmt und die Aufnahme-Anträge durch ein Expertengremium genehmigt wird. Weiterhin regelt die GIGV im Sinne der Gewährleistung der übergreifenden Interoperabilität die Festlegung von Medizinischen Informationsobjekten, welche ebenfalls dem Expertengremium unterliegt und vereinheitlicht das Verfahren zur Entwicklung von Richtlinien für IT-Systeme in Krankenhäusern und in der Pflege.
Worin liegt denn nun die Herausforderung innerhalb der Tech-Konzerne beziehungsweise der Gesundheits-IT? Wir befinden uns in Zeiten, in denen der Datenschutz der Patientendaten immer wichtiger wird, die Relevanz mobiler Gesundheitsgeräte beziehungsweise telemedizinischer Technologien stetig steigt und die Aktualisierung von Gesundheits-IT-bezogener Anreizprogrammen systemrelevant ist. Des Weiteren werden Regulierungen innerhalb des Gesundheitswesens immer strenger. Folglich müssen Gesundheits-IT-Anbieter wie Philips, Siemens oder Telekom Healthcare ihre Systeme kontinuierlich up to date halten, denn es hängen buchstäblich Menschenleben daran.
Welche Rolle spielen denn nun IT-Absolvent:innen? Wie in jeder Branche, fehlt es auch im Gesundheitswesen an IT-Fachkräften. Wie schon zu Beginn erwähnt, belegte Deutschland im Ranking der Bertelsmannstiftung (Digital-Health-Index) den vorletzten Platz. Da steckt also noch viel Verbesserungspotenzial drin und hier kommen die IT-Absolvent:innen ins Spiel! Sie sind diejenigen, die das nötige Know-how besitzen, um mit kreativen Lösungsansätzen eine Wende in der veralteten Gesundheitsstruktur Deutschlands zu bewirken. Bei dieser Wende spielen innovative Start-ups eine nicht ganz unwesentliche Rolle, denn sie geben diesen Personen eine Plattform, um „out of the Box“ zu denken und um Innovation innerhalb des Gesundheitswesens voranzutreiben. Aber welche Probleme versuchen Start-ups mit Hilfe von kreativen Konzepten zu lösen und wie schauen diese aus? Vorweg: An Problemen mangelt es nicht und die Ideen sind wirklich vielversprechend.
Start-ups: mit Digital Health gegen altbekannte Probleme
Aus einer Statistik der Plattform statista.com geht hervor, dass 2020 rund 1.741 Fälle dokumentiert sind, bei der Patient:innen gesundheitliche Schäden durch Behandlungsfehler oder mangelnder Risikoaufklärung davon getragen haben. Davon hatten 104 Fälle einen tödlichen Ausgang. Abhilfe könnten hierbei IT-Systeme schaffen, die den Ärzt:innen bei der Diagnostik Unterstützung leisten, frühzeitig und in Echtzeit vor Komplikationen warnen – oder bei einer OP durch bessere Software, Kameraführung et cetera unterstützen. Ein Beispiel für solch ein System wäre das Medical System der Medical Information Analytics GmbH. Dieses Entscheidungsunterstützungssystem vereint mehrere intelligente Analysetools, welche medizinische Daten aus diversen Datenquellen (zum Beispiel Voraufenthalten oder dem niedergelassenen Bereich) erkennt, Echtzeitdaten hinzufügt und diese auswertet. Somit sollen Ärzt:innen die Last der Behandlungsentscheidung erleichtert werden und zu einer verbesserten beziehungsweise fehlerärmeren Diagnose führen.
Deutschland ist ein buntes Land, so bunt wie seine Einwohner:innen selbst. Doch ist längst nicht jede:r Bewohner:in Deutschlands auch der Landessprache derartig mächtig, um sich über medizinische Belange unterhalten zu können und somit ergeben sich oftmals Kommunikationsprobleme zwischen Patient:innen und Krankenhauspersonal. Da erschwerte Kommunikation wesentlich mehr Zeit beansprucht, leidet unweigerlich auch die Effizienz der Behandlung. Dieses Problem hat das E-Health Unternehmen CallPima erkannt und will mit Hilfe des eigens entwickelten PimaAssist-Sprachassistenten dieses Dilemma aus der Welt schaffen. Laut firmeninterner Daten ergaben sich durch die Optimierung der Patient:innen-Ärzt:innen-Kommunikation eine 30-prozentige Steigerung in Sachen Zeitersparnis, 80-prozentige Steigerung der Patient:innen-Zufriedenheit und eine um 50 Prozent schnellere Reaktion seitens des Krankenhauspersonals. Insgesamt soll eine Kostenersparnis von bis zu 30 Prozent möglich sein – hört sich in dieser Kombination doch gar nicht mal so schlecht an, oder?
Wie man unschwer erkennen kann, steckt in dieser Branche noch unglaublich viel Potenzial und dieses will ausgeschöpft werden! Egal, ob als Full-Stack Entwickler:in in der Frontend- beziehungsweise Backendentwicklung oder als Machine-Learning-Ingenieur:in, in der Daten-Analyse in der Gesundheits-IT gibt es hervorragende Karrierechancen und nebenbei erfüllt man einen wertvollen Gesellschaftsdienst. Zudem gibt es viele Fachbereiche im Gesundheitswesen, die noch im Schatten der Digitalisierung existieren und diese gilt es, schnell und qualitativ hochwertig voranzubringen. Es wird Zeit, Licht ins Dunkle zu bringen!
Mehr Beiträge aus der Healthcare-IT findest du hier im Karrierenetzwerk.
Text von Nam D. Tran, Lektorat von Bettina Riedel