Geoinformationssysteme (GIS) bieten eine wertvolle Grundlage für die Analyse und Modellierung von Hochwasserrisiken. Im Gespräch erklärt Jürgen Schomakers, CEO von Esri Deutschland, wie GIS im Hochwasserschutz eingesetzt wird, welche Daten benötigt werden und welche Rolle moderne Technologien wie Künstliche Intelligenz dabei spielen.
Herr Schomakers, Esri ist der führende Anbieter von Geoinformationssystemen. Können Sie uns erklären, was genau GIS-Technologien sind und wie sie im Bereich Hochwasserschutz eingesetzt werden?
Gerne! GIS-Technologien sind leistungsstarke Werkzeuge um räumliche Daten zu erfassen, verwalten, analysieren und darzustellen. Sie kombinieren geografische Daten mit Sachdaten, um Zusammenhänge visuell darzustellen und Entscheidungen zu unterstützen. Durch den Einsatz von GIS-Technologien können Versorger und Kommunen ein umfassendes Lagebild erstellen und effektive Hochwasserschutzmaßnahmen ergreifen, um Schäden zu minimieren und die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten. Das heißt im Detail, dass GIS die Erstellung von Karten, die Hochwassergefahren und -risiken darstellen, ermöglicht. Mit ihnen kann man gefährdete Gebiete identifizieren, Schutzmaßnahmen oder Notfallmaßnahmen planen sowie verschiedene Hochwasserszenarien – basierend auf Wetterprognosen und hydrologischen Daten – simuliert werden. Zum einen werden Wasserstände in Echtzeit überwacht, Einsatzkräften im Krisenfall effektiv koordiniert und gefährdete Versorgungseinrichtungen identifiziert. Zum anderen kann GIS in der Kommunikation mit der Bevölkerung und Entscheidungsträgern durch interaktive Karten und Informationsplattformen genutzt werden.
Woher kommen die verwendeten Daten?
Im Falle eines Hochwassers wird auf die Basisdaten von Bund, Land und Kommunen zurückgegriffen. Das können Daten zur Bebauung, zum Gelände, zur Flächennutzung et cetera sein. Zusätzlich unterstützt uns der Deutsche Wetterdienst und die Betreiber kritischer Infrastrukturen – wie Straßen und Energie – mit den nötigen Daten. In solchen akuten Notlagen arbeiten wir außerdem sehr eng mit den beteiligten Sicherheitsbehörden, wie Polizei, Feuerwehr, THW und Bundeswehr zusammen. Dieses Zusammenspiel unterschiedlichster Daten gibt uns die Möglichkeit, ein in sich geschlossenes, dynamisches Lagebild zu schaffen.
Verändert KI die Art und Weise, wie wir Hochwasserrisiken prognostizieren und damit umgehen können?
Absolut! Bezogen auf den Hochwasserfall kann KI die Sichtbarmachung potenzieller Gefahren effizienter machen. Veränderungen in der Vegetation, Bebauung oder von überfluteten Flächen können schnell erkannt und verarbeitet werden. Hierbei werden KI-gestützte Modelle in der Bildanalyse von Satelliten- oder Drohnendaten genutzt. Diese Modelle können große Mengen an hydrologischen und meteorologischen Bilddaten analysieren und komplexe Zusammenhänge erkennen, die für traditionelle Modelle schwer zu erfassen sind. Dies führt zu genaueren und schnelleren Vorhersagen. Besonders in kleinen Einzugsgebieten, wo Hochwasser schnell und lokal auftreten kann, bieten KI-Modelle verbesserte Vorwarnzeiten und zuverlässigere Beurteilungen zur Ausgangssituation. Dies ermöglicht eine effizientere und flexiblere Reaktion auf extreme Wetterbedingungen.
Welche Herausforderungen gibt es bei der Implementierung von GIS-gestützten Lösungen in Städten und Regionen?
Eine Herausforderung ist die Sicherstellung der Qualität und Verfügbarkeit von Daten. Oftmals sind die vorhandenen unvollständig, veraltet oder inkonsistent. Wenn man Daten regelmäßig aktualisiert, validiert und weitere Datenquellen integriert, verbessert man auch immer die Datenqualität. Durch die Implementierung strenger Datenschutzrichtlinien ist deren Schutz in jedem Fall gewährleistet. Oftmals wird die Implementierung von GIS mit einer robusten technischen Infrastruktur, einschließlich leistungsfähiger Hardware und Software in Verbindung gebracht. Investiert man in moderne IT-Infrastrukturen und nutzt Cloud-basierten GIS-Lösungen, skalieren sie besser und technische Anforderungen werden reduziert. Neben KI-Lösungsansätzen halte ich Schulungsprogramme für sinnvoll, um Fachwissen aufzubauen. Wie in vielen anderen Branchen auch, hat die öffentliche Verwaltung mit einem erhöhten Fachkräftemangel zu kämpfen – gerade hier wird sich KI langfristig auszahlen.
Dresden nutzt GIS für die Simulation von Hochwasserszenarien. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus solchen Simulationen, und wie können sie in der zukünftigen Stadtplanung und -entwicklung berücksichtigt werden?
GIS ist nicht nur für die Stadt Dresden die zentrale Entscheidungshilfe für Prävention. Fragen nach baulichen Schutzmaßnahmen, Resilienz, Bevölkerungsdichte in überschwemmten Gebieten oder Bebauungsplänen lassen sich mit der entsprechenden Technologie, Simulationen und einem Digitalen Zwilling der Stadt, also ein digitales detailgetreues Abbild, effizient und sicher beantworten. Die Simulationen berücksichtigen auch zukünftige Klimaszenarien und Extremwetterereignisse. Dies ermöglicht eine langfristige Planung und Anpassung der Stadtentwicklung an die Auswirkungen des Klimawandels. Gerade für Städte oder Kommunen, die an solchen hochwassergefährdeten Punkten liegen, ist dies ein unverzichtbares Mittel, um Bevölkerung und Bestand zu schützen.
Könnten Sie uns Beispiele nennen, wie die GIS-Technologien von Esri bereits konkret dazu beigetragen haben, Hochwasserereignisse besser zu bewältigen oder zu verhindern?
Das Hochwasser im Ahrtal 2021 ist Ihnen sicher noch in Erinnerung. Esri hat bei der Aufnahme der Schäden und der Dokumentation des Fortschritts zum Wiederaufbau unterstützt. Dabei haben wir kostenfreie Lizenzen unter anderem an die Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes e. V. und das THW als Hilfsorganisationen, die Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler, das Landesamt für Umwelt Rheinland-Pfalz und die Verbandsgemeinde Altenahr vergeben. Bereits seit der Gründung von Esri 1969 ist es uns ein Anliegen, in Katastrophen wie dieser mit unserer Technologie zu helfen. Dabei stellen wir das Wohl der Gemeinschaft über wirtschaftliche Belange.
Zum Thema Prävention und Transparenz möchte ich gerne das Projekt der Stadt Göttingen in Zusammenarbeit mit den Göttinger Entsorgungsbetrieben (GEB) anbringen. Auf einer Starkregen-Gefahrenkarte können sich Bürger selbst informieren, welche Stadtteile zu möglichen Überflutungsgebieten zählen, welche Fließwege das Wasser innerhalb der Stadt nimmt und wie hoch der Wasserstand potenziell reicht. Das System bezieht dabei auch Informationen zu versiegelten Flächen, die Topografie sowie Niederschläge und hydrologische Berechnungen mit ein. Bei potenzieller Gefährdung bieten die GEB auch Beratungsangebote an, die eine Schwachstellenanalyse am Haus umfassen und konkrete Vorsorgemaßnahmen vorschlagen. Das Projekt ist Teil des Klimaplans 2030 von Göttingen und adressiert das Handlungsfeld „An den Klimawandel anpassen“.
Mit über 30 Jahren Erfahrung in der IT- und Geodatenbranche: Was hat Sie ursprünglich an dieser Branche fasziniert, und was treibt Sie heute an, innovative Lösungen im Hochwasserschutz zu entwickeln?
Geoinformationssysteme bewegen sich in zwei Welten – IT und Geowissenschaften. Diese Kombination prägt fundamental mein Verständnis davon, wie wir als Unternehmen agieren und welche Verantwortung wir tragen. Die Arbeit in der Geodatenbranche, insbesondere im Bereich Hochwasserschutz, bietet die Möglichkeit, einen direkten positiven Einfluss auf die Gesellschaft zu haben. Der Schutz von Menschenleben und Eigentum vor Naturkatastrophen ist eine äußerst erfüllende Aufgabe. Als Bewohner dieses Planeten müssen wir lernen, unsere Umwelt zu verstehen und zu schützen. Deshalb ist es essenziell, die uns zur Verfügung stehenden Technologien zu nutzen und weiterzuentwickeln. Der Einsatz von GIS-Technologien im Hochwasserschutz trägt eben auch zur nachhaltigen Entwicklung und zum Klimaschutz bei. Dies ist ein wichtiger Antrieb für mich und viele andere Menschen, die in dieser Branche arbeiten.