Data Science ist oft eine Art Detektivarbeit, denn es geht darum, Auffälligkeiten und Muster zu erkennen oder auch Zusammenhänge sichtbar zu machen. Zudem ist Data Science ein Bereich, in dem maschinelles Lernen und Fortschritte in Sachen Künstliche Intelligenz (KI) die Arbeit stetig verändern werden. Prof. Dr. Michael Goedicke von der Universität Duisburg-Essen und Vize-Präsident der Gesellschaft für Informatik e.V. (GI) im Interview über den Status Quo des Berufs „Data Scientist“.
Prof. Goedicke, Data Scientists haftet immer noch ein wenig der Ruf des Geheimnisvollen an. Wo werden die Experten gerade gesucht und welchen Aufgaben stellen sie sich?
Einfach gesprochen versuchen Data Scientists beispielsweise mittels KI Erkenntnisse aus großen Datenmengen abzuleiten. Da heute immer mehr Unternehmen, Behörden und Forschungseinrichtungen enorme Datenmengen generieren, gibt es sehr viele Aufgaben- und Arbeitsbereiche. Beispielsweise kann es darum gehen durch komplexe Risikoanalysen Unternehmensstrategien für neue Märkte zu entwickeln, Produktionsprozesse in der Fertigung zu verbessern oder die Logistik in der Luft, auf der Schiene, im Wasser oder auf der Straße zu optimieren. Allen Data Scientists ist jedoch gemein, dass sie in ihrem Arbeitsalltag stark auf komplexe algorithmische Systeme angewiesen sind.
Muss man sich bereits im Studium darauf spezialisieren oder gibt es die Möglichkeit zum Quereinstieg?
Die meisten Data Scientists kommen aus informatischen oder wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen. Da Datenwissenschaftler, wie der Name schon suggeriert, stark mit wissenschaftlichen Methoden arbeiten und mit komplexen Aufgaben konfrontiert sind, ist ein Studium in der Regel Voraussetzung. Da neben einem guten methodischen Fundament und Programmierfertigkeiten auch Kenntnisse im spezifischen Anwendungskontext sehr wichtig sind, handelt es sich in erster Linie um Master-Studiengänge. Mittlerweile bilden Unternehmen Mitarbeiter entsprechend weiter und es gibt anwendungsnahe Intensivkurse, die beispielsweise von der Fraunhofer Academy angeboten werden.
Es gibt durchaus einige Quereinsteiger, die beispielsweise als Maschinenbau- / Wirtschaftsingenieur, Naturwissenschaftler oder als Mediziner tätig sind. Diese Berufe zeichnen sich schon jetzt durch ein sehr algorithmen- und datengetriebenes Arbeitsumfeld aus. Diesen Experten fällt es dann leichter, sich Programmierkenntnisse in den einschlägigen Machine-Learning-Sprachen anzueignen und mit großen Datenmengen umzugehen. Das fällt einem Sozialwissenschaftler tendenziell schwerer, wobei hier mittlerweile auch viele in einem sehr datenaffinen Umfeld arbeiten. Denken Sie nur an die Meinungsforschung.
Einmal in diesem Beruf angekommen: Veraltet das an der Universität gelernte Wissen nicht sehr schnell? Welche Weiterbildungsmöglichkeiten gibt es?
Die Vermittlung von fachlichem Know-how wird im Studium immer unwichtiger. Aber ich muss wissen, wo ich die relevante Expertise finde. Was ich sagen will: Methodische Kompetenzen, die Fähigkeit sich neue Dinge anzueignen und Kreativität werden immer wichtiger. Das gilt nicht nur für den Bereich Data Science, aber hier in besonderem Maße. Ich kann Ihnen auch nicht sagen, ob bestimmte Programmiersysteme in zehn Jahren noch genutzt werden. Wenn man einmal eines gelernt hat, fällt es leichter, sich in ein anderes hineinzuarbeiten. Natürlich hilft die regelmäßige Teilnahme an einschlägigen Konferenzen und Workshops oder der Austausch in Fach-Communitys wie der Gesellschaft für Informatik, über den eigenen Tellerrand zu schauen und sich mit anderen Expertinnen und Experten zu vernetzen. Dass man die Schule, die Ausbildung oder das Studium beendet und damit auch das Lernen, hiervon sollten Sie sich definitiv verabschieden. Die Bereitschaft, lebenslang zu lernen, ist unersetzlich, ob im Bereich Data Science oder darüber hinaus.
Welche Karrierechancen bieten sich nach den ersten Berufsjahren?
Die Karrierechancen für Data Scientists sind aufgrund des hohen Bedarfs sehr gut. Da nicht nur alle Branchen, sondern auch alle Unternehmensbereiche wie Marketing, Produktion oder etwa Personalmanagement zunehmend datengetrieben arbeiten, ergeben sich für Datenwissenschaftler zahlreiche und immer neue Möglichkeiten der Spezialisierung. Ob man in einem Job „alt werden“ kann, hängt in hohem Maße von einem selber ab. Wenn man neugierig ist, bereit sich weiterzuentwickeln und neue Dinge zu lernen, steht der langfristigen Karriere nichts mehr im Weg.
Wie steht Deutschland im europäischen und internationalen Vergleich da?
Auch wenn andere Länder wie die USA oder Großbritannien, bereits umfassender Data Science-Studiengänge anbieten, ist das Niveau deutscher Absolventen sehr hoch. Wir können zu Recht stolz auf unser duales Ausbildungs- und das Hochschulsystem mit den anwendungsnahen Fachhochschulen und den Universitäten sein. Wir sind möglicherweise nicht immer die Schnellsten darin, neue Trends zu erkennen und diese im Bildungssystem zu implementieren, aber unsere Studienangebote sind hervorragend. Jedoch gibt es in Deutschland noch bei weitem nicht ausreichend Data Science-Studienplätze, sodass die einschlägigen Angebote der Hochschulen stark überlaufen sind.
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Was empfehlen Sie Studenten, die gern in den Bereich Data Science einsteigen möchten?
Es braucht die Fokussierung auf einen Anwendungsbereich, also wo die Daten generiert werden. Dies ist inhärent wichtig, da Data Science kein Selbstzweck ist, sondern nur im Kontext Sinn ergibt. Nicht zu unterschätzen sind beispielsweise auch die sozialen Fertigkeiten: Data Science ist eine Disziplin, die nur im Team wirklich Früchte trägt. Und natürlich sollten Interessierte sich bewusst machen, dass Datenwissenschaft eine starke Affinität zur Mathematik und Informatik erfordert. Leider fehlen gerade informatische Angebote in der Schule oft. In diesem Fall ist Eigeninitiative gefragt.
Welche Chancen und Risiken sehen Sie am Horizont für die nächsten 10 bis 20 Jahre im Berufsfelds „Big/Smart Data“?
Der Bedarf an Data Scientists wird in den kommenden Jahren massiv ansteigen. Denn vor allem Unternehmen produzieren zukünftig immer mehr Daten. Neben dem Umgang mit Big Data wird es verstärkt um Smart Data gehen. Denn eine wachsende Herausforderung der zukünftigen Datenwirtschaft liegt darin, in den ungeheuren Datenmengen die wirklich relevanten Daten zu finden und in gewinnbringende Informationen zu verwandeln.
Wird die KI den Beruf des Datenwissenschaftlers übernehmen?
Richtig ist: Zukünftig werden immer komplexere Aufgaben von Maschinen mit Künstlicher Intelligenz übernommen werden können, wie übrigens auch in allen anderen wissenschaftlichen Disziplinen. Bereits heute spielen Methoden und Konzepte der KI eine erhebliche Rolle in der Datenwissenschaft – insbesondere das maschinelle Lernen. Doch sind Maschinen mit Künstlicher Intelligenz aktuell nur dann effizient, wenn sie in sehr eng definierten Aufgabenbereichen eingesetzt werden. Hinzu kommt: Es braucht immer noch jemanden, der entscheidet, in welchem Bereich und für welche Daten der Einsatz von KI-Technologien sinnvoll ist und in welchen nicht. Von daher glaube ich, dass der Beruf des Datenwissenschaftlers sich zwar kontinuierlich verändern, aber sicherlich nicht verschwinden wird.
Was sind die drängendsten Fragen und Wünsche an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in diesem Zusammenhang?
Um uns in einer zunehmend durch Daten getriebenen Arbeits- und Lebenswelt zurecht zu finden, braucht es nicht nur Expert:innen. Es braucht vor allem grundlegende Daten-Kompetenzen, eine sogenannte Data Literacy in der Breite der Gesellschaft. Denn für viele politische Entscheidungen, etwa bei den Themen Überwachung, Datenschutz oder der Einflussnahme auf politische Entscheidungen durch Micro-Targeting, müssen wir zumindest rudimentär verstehen, wie Daten gesammelt und ausgewertet werden. Dazu braucht es entsprechende Angebote in der Schule, etwa integriert in einen verpflichtenden Informatikunterricht. Aber auch in allen anderen Wissenschaftsdomänen, wie der Psychologie, Linguistik oder der Geschichte brauchen Absolventen in einem digitalen Zeitalter zunehmend Informatik- und Datenkompetenzen.
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