Eigentlich sind junge Frauen die wichtigsten Leistungsträgerinnen der heutigen Arbeitswelt: Sie arbeiten viel und härter, um sich die gleiche Beförderung zu verdienen wie ihre männlichen Kollegen. Meistens verdienen sie weniger und die große Karriere bleibt auch aus. Angela Hornberg erklärt der HI:TECH CAMPUS-Redakteurin Bettina Riedel, was wirklich Sache ist in der Arbeitswelt von heute und warum es eine Quote braucht, um die Bedingungen für weibliche Ingenieure aufzubrechen.
Viele Firmen beklagen, dass es so wenige weibliche Ingenieure gibt.
Stellt sich nur die Frage – warum? Denn es ist eine Legende, dass nur Ingenieure an der Spitze von technisch fokussierten Unternehmen stehen. Eines der sinnlosesten Argumente, die ich immer wieder höre ist: ,Es wäre eine Unverschämtheit, eine Frauenquote durchzusetzen, wenn nur zwei Prozent der Frauen im Fachbereich Ingenieurswesen studieren.’ Als gäbe es in den Unternehmen keine Finanzabteilung, kein HR, kein Legal Department, kein Business Development oder keinen Vertrieb! Klar brauchen wir mehr Ingenieurinnen und Frauen in den Naturwissenschaften! Hier ist das wahre Problem aber, sie von diesen Fachbereichen zu überzeugen. Warum trauen sich so viele Frauen kein sogenanntes Männerstudium zu?
Ist das wirklich eine Frage des nicht-zutrauens?
Wird ihnen das denn nicht eingeredet? Wenn Sie sich in der Welt umsehen, werden Sie schnell feststellen, dass es ein extrem deutsches Problem ist. In anderen Ländern – sowie zum Beispiel Italien – ist die Zahl der Absolventinnen in naturwissenschaftlichen Fächern viel höher als in Deutschland.
Bleibt trotzdem die Frage, ob Frauen sich so ein Studium aktiv nicht zutrauen oder ob es nicht als ‚echte‘ Option wahrgenommen wird.
Das ist egal. Schauen Sie sich in Ihrem eigenen Bekanntenkreis um, wie vielen Frauen eingeredet wird, dass sie es mit Mathe ‚einfach nicht so haben‘. Ich finde es unverantwortlich von den Eltern dieser Mädchen, dass sie das auch noch zulassen. Entscheidet sich eine junge Frau für diese Bereiche, dann erntet sie in den meisten Fällen erst einmal Kopfschütteln.
In meinem Bekanntenkreis finden sich allerdings einige Frauen, die Mathe und Physik studiert haben.
Sind die nun in der Industrie tätig?
Nein, entweder haben sie auf Lehramt studiert oder sind in der Forschung an der Universität tätig.
Sehen Sie. Warum Lehramt, warum nicht Karriere in Industrie? Im Lehramt verdient man vergleichsweise wenig und es gibt quasi keine Aufstiegsmöglichkeiten. Ich sage Ihnen, warum: In der Industrie ist der Wettbewerb viel höher und der Kampf um die Macht wesentlich stärker ausgeprägt.
Frauen kämpfen nicht um Macht – ein großer Fehler
Zwei der gefragtesten Aufsichtsrätinnen in Deutschland sind Professorinnen, beide für nicht-technische Fächer, nämlich BWL und VWL. Da heißt es immer: ,Wie schade, dass es davon nur so wenige gibt!’ Was für eine absurde Heuchelei! In Deutschland gibt es 438 Professorinnen aus den naturwissenschaftlichen Fächern! Übrigens sehr viele Ausländerinnen – offenbar müssen wir Naturwissenschaftlerinnen nach Deutschland importieren. Trotzdem oder gerade deswegen also meine Frage: Warum sind diese Frauen keine Aufsichtsräte?
Da geht es um das Thema ,Macht‘.
Exakt und das ist ein sehr heikles. Warum trauen sich deutsche Frauen kaum bis gar nicht zu, in einem Industrieunternehmen um eine Machtposition zu kämpfen? Das ist ein ganz natürlicher Vorgang. Man spaziert nicht einfach an die Spitze, dafür muss jeder kämpfen, ob Mann oder Frau. Es ist ein Wettbewerb.
In einem Wettbewerb geht es um Leistung. Warum ihn also mit einer Quote verfälschen?
Bei Machtpositionen geht es nicht mehr zentral um Leistung. Wenn ein Mann einmal Aufsichtsrat war, wird er selbst nach erwiesener Misswirtschaft in der Regel wieder in einen anderen Aufsichtsrat aufgenommen – es geht nicht um Qualifikation, sondern ganz offensichtlich um Qualitäten wie Beziehungen und Seilschaften. Diese Strukturen sind in Deutschland so wenig an Leistung gekoppelt und so festgefahren, dass es eine Quote braucht, um sie zu durchbrechen.
Interessanterweise ist etwa jede zweite deutsche Frau gegen die Quote! Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen … Dahinter steckt meines Erachtens ein psychosoziologisches Phänomen: Wenn man mit einer Strategie einmal Erfolg hatte, wird man sie immer wieder anwenden. In der Schule und an den Universität – beide Systeme bewerten Leistung objektiv und neutral – haben Studentinnen die besseren Noten und studieren meistens in kürzerer Zeit, das heißt: Sie haben Erfolg. Die Arbeitswelt funktioniert aber nach einem ganz anderen System: Hier geht es nicht mehr um eine objektive und messbare Leistung, hier geht um Seilschaften, Loyalität, offen ausgetragene Kämpfe.
Männliche Prinzipien in der Arbeitswelt
Sicher, es gibt Studien, die zeigen, dass Männer eher Männer einstellen, weil sie ihnen persönlich ähneln.
Exakt! Diese Arbeitswelt und erst recht die Gesellschaft sind extrem stark durch männliche Sozialisierung und Kommunikationsstrukturen geprägt. Männer ticken in Loyalität, Seilschaften, Ego, Statussymbolen, Macht – das ist vollkommen okay so, hat mit objektiver und transparenter Leistung aber nichts mehr zu tun. Das meiste davon interessiert Frauen wenig. An sich absolut kein Problem, denn es gibt in der Neurobiologie und der Psychologie eindeutig männliche und weibliche Prinzipien und Merkmale. Deswegen ergänzen sich die Geschlechter eigentlich so gut. Die Merkmale der Männer haben dazu geführt, dass sie an der Spitze sind. Also haben sie ihre Strategien immer wiederholt. Und so kommt es, dass die gesamte Arbeitswelt auf deren Prinzipien beruht – Risiko wird belohnt, Ego auch, genauso Loyalität und Hierarchien. Das spiegelt sich in der gesamten Gesellschaft wieder. Der Kampf um die Macht ist ein dauerhafter Wettstreit.
Liegt dann die Lösung darin, dass die Arbeitswelt sich öffnet und weiblichen Prinzipien Raum gibt oder sollen Frauen sich mehr männliche aneignen?
Das ist eine systemische Frage. Stellen Sie sich ein Fußballteam aus Männern vor, in das eine Frau aufgenommen wird. Wenn sie sich alleine hinstellt und allen anderen sagt, dass sie anders spielen müssen, hat ihre Stimme kaum Gewicht. Entweder, einige Männer stellen sich auf ihre Seite, was zwecks der unterschiedlichen Prinzipien kaum geschehen wird. Und warum sollten sie auch? Sie ticken und arbeiten eben anders. Die zweite Möglichkeit ist: Andere Frauen unterstützen sie. Dazu müssen die aber überhaupt ins Team kommen – und dafür sorgt die Quote.
Woran scheitern dann die Frauen?
Eine befreundete Personalchefin sagte mir, dass sie mittlerweile immerhin 50 Prozent Frauen einstellen können. Die kommen aber nur bis zur Grenze der ,fachlichen Kompetenz‘.
Das heißt, in den ersten Berufsjahren zählt die fachliche Kompetenz tatsächlich als das Beurteilungskriterium schlechthin. Nach fünf oder sechs Jahren greifen allerdings die Sozialisierungsstrukturen, also Gleich-zu-Gleich, Loyalität und Seilschaften und spielen die größere Rolle.
Konstruktiv miteinander sprechen
Bei der Quote geht es genau deswegen nicht um die jungen Einsteigerinnen, sondern um die Führungskräfte. Wenn eine Frau das erste Mal bei einer Beförderung übergangen wird, dann arbeitet sie noch härter. Das ist das Prinzip, das sie aus der Schule und der Universität kennt.
Dann wird sie wieder übergangen und was macht sie? Hängt sich noch stärker in die Seile. Bis sie an den Punkt kommt, an dem sie ihre Mutterseele entdeckt, die Karriere an dieser Stelle lieber abbricht und eine Familie gründet. Woran soll sie sich auch orientieren? Es gibt weder glückliche oder entspannte Vorbilder. Nur das System, das sie als Rabenmutter zeigt oder als machthungrige Zicke.
Frauen kommen nicht zusammen, um festzustellen, dass es nicht an ihnen liegt, sondern die ganze Sache ein systemisches Problem ist. Sie tauschen sich kaum oder gar nicht darüber aus, sie sprechen es nicht offen an.
Sollen Frauen sich also stärker vernetzen?
Das Wort ,vernetzen‘ wird meistens gründlich missverstanden. Sie müssen miteinander konstruktiv sprechen, sich über Misserfolge hinwegtrösten und sich vor allem untereinander weiter empfehlen! Frauen tauschen Visitenkarten aus, hören sich Vorträge an und gehen wieder heim. Aber konstruktiv miteinander an der Karriere arbeiten? Das müssen Frauen erst noch lernen.