Die maritime Supply-Chain, Hafentechnik oder auch die Nautik selbst durchlaufen die Digitalisierung. Ein Teilaspekt davon sind die Einsatz- und damit Verbesserungsmöglichkeiten von Virtual und Augmented Reality. Arbresh Ujkani ist am Fraunhofer-Center für Maritime Logistik und Dienstleistungen (CML) tätig und gibt uns Einblicke in seine AR-/VR-Projekte. Auch, warum sich der Einstieg gerade für Nicht-Seeleute lohnt, erfährst du hier.
Arbresh, du bist bei Fraunhofer tätig und konzentrierst dich fachlich auf AR und VR im Umfeld von Schiffen. Dabei geht es aber nicht um Entertainment an Bord von Kreuzschiffen, sondern…?
… eine wertschöpfende Anwendungsweise in verschiedenen Arbeitsbereichen. Im Bereich von Virtual-Reality sehen wir gerade Trainingssimulationen als wertvolle, zusätzliche Unterstützung während der Ausbildung. Die Verwendung von AR kann im normalen Betrieb auf der Schiffbrücke und zur Unterstützung bei Instandhaltung gerade im Bereich Maschine verwendet werden. Wir versuchen also, moderne Technologien an den Orten zu verwenden, in denen wir und natürlich unsere Kunden einen Mehrwert sehen.
Vorab hattest du keine Erfahrung aus dem Schiffs-Umfeld. Wie hast du diese Wissenslücke kompensiert?
Verständlicher- und glücklicherweise befinden sich im Fraunhofer CML auch einige ehemalige Seeleute, die den „Nicht“-Seeleuten jederzeit mit ihrem Fachwissen auf die Sprünge helfen. Das kann am Anfang vielleicht etwas viel sein, wenn ständig neue Abkürzungen und Begriffe wie „Ecdis“ (electronic chart display) oder „AIS“ (automatic identification system) fallen. Irgendwann hat man dort den Dreh raus, viel mehr aber lernt man bei den Projekten, in denen man aktiv Zeit auf einem Schiff verbringt. Sei es in dem Fall ein Cruise-Liner oder ein Containerschiff. Da kann es auch mal dazu kommen, dass man dem Kapitän beim An- oder Ablegen über die Schulter gucken darf. Im aktiven Betrieb lernt man einfach deutlich schneller, worauf es ankommt. Zusätzlich haben wir durch den Kontakt zu Reedereien und anderen Industriepartnern einen sehr kurzen Weg zu den Endnutzern und Entscheidungsträgern.
Projektbeispiele für VR/AR in der Welt der Schiffe
Kannst du uns ganz konkrete Projekte beschreiben?
Die Projekte können, je nach Anwendungsfall, in viele unterschiedliche Richtungen gehen, aber ein spezielles Projekt in VR war die Entwicklung der „Fast Rescue Boat“(FRB)-Anwendung. Dabei handelt es sich um eine Trainingsanwendung, in der die Nutzer den kompletten Prozess zur Rettung einer über Bord gegangenen Person verinnerlichen. VR-Technologien eignen sich gerade im Trainingsbereich dafür, durch erhöhte Immersion und Gamification, den Lernerfolg zu erhöhen.
Zur Entwicklung eines Trainingsszenarios erstellt man mit Experten in den jeweiligen Fachgebieten ein Story-Buch. In diesem Story-Buch wird Schritt für Schritt – im Optimalfall auch mit Bildern – der komplette Prozess erklärt. In diesem Sinne ist die Erstellung einer solchen Anwendung auch ein Lernprozess für mich. Anschließend wird in einer Game-Engine (Unity oder Unreal Engine) mit den passenden 3D-Modellen versucht, das Szenario (der generelle Ablauf einer Übung mit den notwendigen Zwischenschritten) nachzubauen. Je nach Umfang und Verfügbarkeit von 3D-Modellen kann es schneller oder langsamer gehen. Wenn das Grundgerüst steht, stehen noch essentielle Usability-Tests an, bevor es einer breiten Masse bereitgestellt wird. Im Bestfall nehmen möglichst viele unterschiedliche Leute teil, um eine vernünftige Bandbreite an Feedback zu bekommen.
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Woher kommen diese Projekte – als Inspiration aus der Industrie oder werden sie durch die Strategie bei Fraunhofer festgelegt?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten: Das Fraunhofer CML finanziert sich vorrangig über nationale und internationale Forschungsprojekte sowie Industrieprojekte. Industrieunternehmen kommen mit Visionen zu uns, die wir dann gemeinsam zu greifbaren Projekten ausarbeiten und umsetzen. Gerade im traditionellerem Schifffahrtsbereich ist das Verlangen nach Digitalisierung und state-of-the-art Technologien in den letzten Jahren spürbarer geworden.
Grenzen setzen und Grenzen überschreiten
Was waren typische Herausforderungen, die du bei deinen Projekten meistern musstest?
Für mich als Entwickler ist das Setzen von Grenzen die größte Herausforderung. Wenn man genau weiß, wie ein Szenario ablaufen soll, vergisst man manchmal den Blick für Sachen, die trotzdem möglich sind. Ein Beispiel wäre: Was passiert, wenn plötzlich der Nutzer in der FRB-Anwendung sich entscheidet, seine wertvollen Hilfsmittel, wie Funkgerät oder Plotter, über Bord zu werfen? Nutzer einzuschränken und „auf Kurs zu halten“ ist schon fast eine Kunst für sich. Und niemand will ins Wasser fallen, auch nicht ins digitale!
Apropos Wasser – du warst erst kürzlich in Göteburg unterwegs. Worum ging es?
In Göteborg war ich aufgrund eines Forschungsprojekt im Bereich „Intelligent Learning Systems“ zur automatischen und interaktiven Auswertung von Ergebnissen in Trainingssimulationen der Schifffahrt. Hier arbeiten wir eng mit unterschiedlichen Forschungseinrichtungen im Rahmen eines EU geförderten Projektes „I-Master“ zusammen. Da sind Besuche vor Ort für den Austausch von Wissen und Ideen ungemein hilfreich.
Die Verknüpfung von Schiff und Land
Woran arbeitest du derzeit?
Gerade dreht sich viel um das Thema Fernunterstützung im Kontext „Remote-Pilotage“. Wir wollen das Situationsbewusstsein auf einer Schiffbrücke digital erstellen und an Land projizieren. So könnten Lotsen beispielsweise in Zukunft von Land aus operieren und müssen dadurch keine gefährlichen Andockmanöver an fahrende, große Frachter durchführen.
Ist in deinem Themengebiet derzeit eine Stelle offen, die für unsere Leser:innen interessant sein könnte?
Motivierte Hilfswissenschaftler werden immer gebraucht! Falls es nicht unbedingt die Seefahrt in Hamburg sein soll, gibt es deutschlandweit viele Stellen in unterschiedlichen Forschungsgebieten. Am leichtesten kann man aktuelle Ausschreibungen online über das Fraunhofer Job-Portal finden (www.fraunhofer.de/de/jobs-und-karriere).
Arbresh Ujkani absolvierte seinen Bachelor of Science in Medieninformatik an der Hochschule Flensburg und anschließend den Master of Science in Digital Reality an der HAW Hamburg. Seit September 2021 ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter/VR-Entwickler beim Fraunhofer CML angestellt.