Derzeit leiden im Schnitt 10 Prozent der indischen Bevölkerung an Diabetes. Aufgrund der schlechten Versorgungslage erleiden viele der Betroffenen diabetische Retinopathie, eine aus Zuckerkrankheit resultierende Sehstörung. Dr. Maximilian Wintergerst, seines Zeichens Arzt an der Augenklinik des Universitätsklinikums Bonn, startete in Zusammenarbeit mit dem Sankara Eye Center in Bangalore eine Pilotstudie: Sie testeten Wege, die Krankheit schnell und kostengünstig zu diagnostizieren. Ihr Starprodukt: Aufsätze, die das eigene Handy ganz schnell in medizinisches Fachwerkzeug verwandeln.
Wieso leidet in Indien im Schnitt jeder zehnte Mensch an Diabetes?
Die Prävalenz von etwa 10 Prozent Diabeteskranken entspricht auch ungefähr der Prävalenz hier in Deutschland. Das Problem ist also nicht, dass Diabetes in Indien häufiger wäre als hierzulande, sondern, dass die medizinische Versorgung in Indien – vor allem auf dem Land – wesentlich schlechter ist als in einem Industrieland wie Deutschland. Auch deshalb hat etwa jeder dritte Diabetiker in Indien die diabetische Retinopathie. Das ist häufiger als hierzulande. Hinzu kommt der Bevölkerungsreichtum von Indien mit etwa 1,3 Mrd. Menschen. Das macht die Situation umso dramatischer und unterstreicht die Notwendigkeit Lösungen zu finden.
Ihre indischen Kollegen vom Sankara Eye Hospital entwickelten eine sehr kostengünstige Lösung zur Spiegelung des Augenhintergrundes (Funduskopie), welche Sie im Rahmen Ihrer Studie getestet haben. Wie viel kostet ein solcher Smartphoneaufsatz?
Während kommerzielle Adapter einige hundert Euro kosten belaufen sich die Kosten für die selbstentwickelte Lösung auf etwa 50 indische Rupien, also weniger als einen Euro.
Wie kamen Sie auf die Idee, ein Smartphone zur Diagnostik von diabetischer Retinopathie einzusetzen?
Smartphones sind in der heutigen Welt allgegenwärtig. Sogar in Entwicklungs- und Schwellenländern. Viele verfügen über eine vergleichsweise gute Kamera, wären also prinzipiell für medizinische Bildgebung geeignet, allerdings ist der Strahlengang der Handykamera nicht dafür ausgelegt durch eine sehr kleine Öffnung wie die menschliche Pupille hindurch Bilder zu machen. Hier kommen verschiedene Adapter ins Spiel, die seit kurzer Zeit von unterschiedlichen Anbietern entwickelt werden. Durch sie wird der Strahlengang des Smartphones so modifiziert, dass die Handykamera zur Spiegelung des Augenhintergrundes (Funduskopie) verwendet werden kann. Ziel unserer Studie war der Vergleich verschiedener technischer Ansätze zur Smartphone-Funduskopie hinsichtlich Bildqualität und Eignung zum Screening für diabetische Retinopathie.
Wie funktioniert das Bildgebungsverfahren mit Smartphones genau?
Man kann zwei verschiedene optische Verfahren zur Funduskopie unterscheiden: die direkte und die indirekte. Während man bei ersterer direkt, also ohne Spiegelung auf den Augenhintergrund blickt wird bei der indirekten Funduskopie eine Linse in den Strahlengang eingebracht, die ein punktgespiegeltes Bild erzeugt. Wir haben Smartphone-Adapter für beide Verfahren getestet. Am Beispiel einer der direkten Smartphone-Funduskopie Lösungen erklärt: auf das Smartphone wird ein Adapter montiert, der das Blitzlicht abschwächt und durch Spiegel genau auf die optische Achse der Kamera umlenkt. Mit diesem Smartphone nähert sich der Untersucher langsam an das Auge des Patienten an bis er ein scharfes Bild der Netzhaut und des Sehnervenkopfes erhält. Durch Kipp- und leichte Schwenkbewegungen der Kamera lassen sich verschiedene Bereiche des Augenhintergrundes darstellen und auf Veränderungen der diabetischen Retinopathie wie Blutungen oder neue Gefäßbildungen hin untersuchen.
Wie genau ist Ihr Ergebnis im Vergleich zur Diagnose durch Standardgeräte?
Wir sind gerade noch dabei die Daten unserer Studie auszuwerten, für die genauen Ergebnisse muss man sich also noch etwas gedulden. Aber es lässt sich schon jetzt absehen, dass jede technische Lösung ihre Vor- und Nachteile hat und sich auch die selbst entwickelte indische Lösung nicht zu verstecken braucht. Die Bildqualität der Smartphones kommt natürlich nicht an die der beispielsweise in Deutschland üblichen Funduskameras heran und sicherlich wird die Funduskopie durch den Arzt selbst immer die sicherste Methode sein um diabetische Retinopathie zu erkennen. Die Smartphone-Funduskopie bietet aber trotzdem immenses Potenzial zur Verbesserung der medizinischen Versorgung in Ländern wie Indien oder Afrika, vor allem auf Grund des wesentlich niedrigeren Preises gegenüber konventionellen Kameras und weil man mit dem Handy natürlich viel mobiler ist.
Dr. Maximilian Wintergerst schloss sein Studium der Humanmedizin 2015 an der Ludwig-Maximilians-Universität in München mit Bestnote ab und ist seit dem als Augenarzt an der Universitäts-Augenklinik Bonn tätig. Er erforscht neue Ansätze zur Bildgebung in der Ophthalmologie und erhielt 2016 zusammen mit Herrn Prof. Robert Finger die „Forschungsförderung Tropenophthalmologie“ der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft für dieses Projekt in Süd-Indien.
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