Als ich 1984 mit der IDS Scheer AG mein erstes Unternehmen gründete, ahnte ich, dass ich mich auf ein Leben voller Abenteuer einlassen würde, das nicht mit dem Leben eines Universitätsprofessors für Wirtschaftsinformatik zu vergleichen sein würde. Die erlebten Abenteuer als Unternehmer haben sicher auch ihre Spuren in der Entwicklung meiner Persönlichkeit hinterlassen. Sie haben mich aber nicht daran gehindert, mit über 70 Jahren ein neues Unternehmen zu gründen und mich weiterhin an jungen, vielversprechenden Start-ups zu beteiligen.
Im Kern geht es um immer neue Lernkurven, die es zu akzeptieren und zu realisieren gilt. Wenn man etwa ein Unternehmen mit zwei oder drei Mitarbeiter:innen gründet, braucht man noch nicht die Fähigkeiten, die man für einen Betrieb mit 1.000 Mitarbeiter:innen benötigt. Der Entwicklungsprozess in dieser Zeit ist vielleicht das größte Abenteuer. Mit den vielfältigen Herausforderungen müssen neue Fähigkeiten und Eigenschaften erworben werden, die zum Beispiel in einem eher statischen Leben eines Wissenschaftlers im Hochschulbetrieb nicht so wichtig sind. Wer sich dieser persönlichen Weiterentwicklung verweigert, wird keinen unternehmerischen Erfolg haben, sondern höchstens ein Unternehmen in der Größenordnung eines Lehrstuhls führen.
Wer den Schritt aus der wissenschaftlichen Arbeit in das Spin-off Unternehmertum wagt, muss von einer besonderen Neugierde getrieben sein. Es reicht nicht aus, Produktideen oder neue Methoden nur zu beschreiben und bestenfalls bis zum Prototypen zu bringen. Es geht um die unternehmerische Umsetzung, den Willen, die Realität zu beeinflussen.
Insgesamt habe ich den Weg von einem Forschungsprototypen zu einem Softwareprodukt mehrfach durchgeführt. Im Ergebnis zeigte sich, dass für die Produktentwicklung nur das von den Forschungsprototypen übernommene Wissen verwertbar war. Die Prototypen selbst wurden eingestellt. Die Entscheidungen für Entwicklungsplattformen und -technologien mussten nämlich nicht mehr Forschungskriterien, sondern Markt- und Performancekriterien gehorchen.
Um als Start-up größere Projekte umzusetzen, kann die Zusammenarbeit mit einem großen Unternehmen von Vorteil sein. Davon habe ich zum Beispiel bei der Gründung von IDS Scheer profitiert. Von der Universität aus hatte ich bereits Kontakte zu den Gründern der SAP aufgebaut. Aber vor allem war meine Hartnäckigkeit entscheidend, dem Vorstand mit Überzeugungskraft meine Ideen immer wieder vorzutragen und darauf die Zusammenarbeit zu begründen.
Welche Faktoren entscheiden über den Erfolg eines Start-ups?
Ich werde häufig gefragt, was denn der entscheidende Erfolgsfaktor für eine Neugründung ist. Den alleinigen Faktor gibt es sicher nicht, es geht zum einen um verschiedenen Facetten im Unternehmen selbst – und es geht um die Märkte. Ich glaube nicht an Businesspläne. Ich habe noch nie erlebt, dass einer über mehrere Jahre eingehalten wurde. Wichtiger ist der „Human Factor“, nämlich, dass sich die Gründer voll auf das Unternehmen konzentrieren und flexibel auf neue Anforderungen reagieren. Wenn ich als potenzieller Investor in Start-ups merke, dass die Gründer:innen nur eine Erfahrung für ihren Lebenslauf anstreben, lohnt sich kein Engagement. Und so wichtig ein Geschäftsmodell zunächst sein mag, es wird sich immer wieder marktbedingt verändern. Heute interessieren mich als Investor die Menschen, die dahinterstehen. Ich finde es gut, wenn sich die Lebenswege der Gründer:innen spreizen. Wenn im Gespräch drei Nerds vor mir sitzen, die auch noch miteinander befreundet sind, werde ich skeptisch. Man braucht diversifizierte Teams für vielfältige Ideen und den Mut, neue Wege zu gehen. Dann eröffnen sich vielfältige Möglichkeiten.
Wer den Mut hat, ein Start-up zu gründen, profitiert zum Beispiel vom klassischen Innovator’s Dilemma: In bestehenden Unternehmen arbeiten zwar auch Leute, die neue Ideen haben. Aber wenn sie diese umsetzen wollen, wird zuerst gefragt: Wie viel Umsatz bringt das? Wann machen wir Gewinn? Im Vergleich zum bestehenden Geschäft wirkt die Idee plötzlich sehr klein und wird abgelehnt. Start-ups dagegen haben nichts außer der Idee und – wenn das Gründerteam stimmt – setzen sie alles daran, aus ihr ein Geschäftsmodell zu machen. Insbesondere Ausgründungen von Universitäten haben Chancen, mit disruptiven Lösungen den Markt zu bearbeiten. Sie profitieren aus den noch frischen Erkenntnissen der universitären Forschung. Diese kann den Ball weit nach vorne werfen und auch Ansätze verfolgen, die für eine (etablierte) unternehmerische Strategie noch zu weit in der Zukunft liegen.
Wenn der unternehmerische Start einmal geglückt ist, Investoren gefunden sind und die Zeichen auf Erfolg stehen, gehören aber auch Krisen zum Alltag eines Unternehmens. Unternehmenskrisen können die Existenz des Unternehmens gefährden und damit auch die berufliche und wirtschaftliche Grundlage des Unternehmers. In einer solchen Situation hat man das Gefühl, dass einem das Unternehmen um die Ohren fliegt. Dabei ist man nicht nur selbst betroffen, sondern auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Krisen können aber als Chance verstanden und genutzt werden. Sie setzen besondere Kreativität frei, da man zu einer grundlegenden strategischen Änderung gezwungen wird. Der Autor Taleb hat in seinem Buch „Antifragilität“ herausgestellt, dass ein System antifragil ist, wenn es aus einem Angriff einen Gewinn zieht. Eben dieser Umstand ist viel eher in einem jungen, dynamischen Unternehmen mit verschiedenen Entwicklungsoptionen gegeben als in etablierten Firmen.
Welches Team sorgt für den Erfolg?
Grundsätzlich ist es richtig und wichtig, mit dem passenden Team aus Überzeugungstätern zu starten und solide Partnerschaften einzugehen – auch und gerade um potenzielle Krisen zu bewältigen. Eine Garantie für den Erfolg gibt es aber nicht. Dafür sind die Umfeld-Bedingungen eines Unternehmens zu unberechenbar. So können in einer ökonomischen Krise plötzlich sichergeglaubte Investoren abspringen und auch Zielmärkte drastisch schrumpfen. Das habe ich selbst erlebt: Während der New Economy-Blase um das Jahr 2000 hatte ich drei bis vier Pleiten. Damals wollte ich „Speedboats“ für mein bereits recht etabliertes Software-Unternehmen aufbauen – kleine, eigenständige Unternehmenseinheiten in den Bereichen Logistik und Finanzen. Leider gab es rechtliche Probleme und wir fanden keine Investoren. Dabei habe ich ungefähr zwei Millionen verloren. Aus meiner Sicht gehören auch solche Erfahrungen zum Unternehmertum dazu, man braucht am Ende nur mehr Erfolge als Verluste. Im Nachhinein ärgere ich mich nicht über das verlorene Geld, denn schließlich war es die bereits erwähnte Hartnäckigkeit, die mich wieder auf die Erfolgsspur gebracht hat.
Jedem jungen Absolventen, der den Sprung ins Unternehmertum wagen möchte, rate ich dringend, Kontakte zu einem Business Angel-Netzwerk aufzunehmen und so die Chance zu nutzen, wichtige Hinweise von erfahrenen Unternehmern zu erhalten. Sie haben eine vergleichbare Vita wie ich – mit allen Höhen und Tiefen. Sie kennen die Stolpersteine genauso gut wie die Meilensteine zum Erfolg!
Von Prof. August-Wilhelm Scheer, Forscher und erfolgreicher Unternehmer. Mehr auf seiner Website.
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