Gerade die Luftfahrt hat ein hohes Potenzial, an wichtigen Stellschrauben für mehr Nachhaltigkeit zu drehen. Abgesehen von verändertem Nutzungsverhalten ist eine Stellschraube der Kraftstoff, mit dem die Flugzeuge betrieben werden. Am Bauhaus Luftfahrt wird derzeit an der Herstellung eines nachhaltigen Flugkraftstoffs aus Gülle und Stroh geforscht – Dr. Valentin Batteiger berichtet.
Das jüngst gestartete Projekt CIRCULAIR konzentriert sich auf nachhaltigen Kraftstoff für die Luftfahrt. Welcher Ansatz wird dabei verfolgt?
Das CIRCULAIR Projekt fügt sich in eine Reihe von Forschungsprojekten ein, an denen sich das Bauhaus Luftfahrt beteiligt hat. Letztlich wollen wir die nachhaltigen Energieoptionen in der Breite verstehen: also das auf kurze Strecken limitierte batterieelektrische Fliegen, synthetisches Kerosin, das in großen Mengen mittels Solar- und Windenergie hergestellt werden kann, auf längere Sicht die Möglichkeit, direkt mit verflüssigtem Wasserstoff zu fliegen sowie fortgeschrittene Biokraftstoffverfahren. Das konkrete Projekt CIRCULAIR kombiniert die Nutzung landwirtschaftlicher Reststoffe mit erneuerbarem Wasserstoff. Dadurch lässt sich aus derselben Menge an Biomasse mehr Kraftstoff gewinnen, als es in einem reinen Biokraftstoffverfahren der Fall wäre.
Ein Forschungsprojekt durchzuführen ist das eine, aber inwiefern wird von vornherein die Skalierung auf Industriegröße berücksichtigt?
Der Hauptteil der Forschungs- und Entwicklungsarbeit in CIRCULAIR wird von Universitäten und Forschungsinstituten getragen. Die Skalierung des zu Grunde liegenden Prozesses, die hydrothermale Verflüssigung (HTL, englisch: Hydrothermal Liquefaction), findet aber in Bezug auf die Klärschlammumsetzung bereits statt. Ein dänisches Start-up, Circlia Nordic, das die HTL Technologie industrialisieren will, ist als Projektpartner eingebunden. Weitere Industriepartner sind der dänische Katalysatorhersteller Topsoe und der italienische Energiekonzern Eni. Damit ist CIRCULAIR für eine zukünftige Industrialisierung der Technologie gut aufgestellt.
Welche Rolle übernehmen Sie konkret in diesem Projekt?
Ganz konkret koordiniere ich den Forschungsverbund aus zehn europäischen Partnern. Der schöne Teil dieser Arbeit besteht darin, die Forschung der jeweiligen Partner mit Blick auf die Ziele des Gesamtvorhabens zu steuern und aus den Ergebnissen Handlungsempfehlungen für die Zukunft abzuleiten. Am Bauhaus Luftfahrt sind wir zudem für die Systemanalyse zuständig. Dabei bilden wir den Prozess über Modelle ab. Soweit möglich, quantifizieren wir ökonomische und ökologische Parameter für eine zukünftige, hochskalierte Anlage, wie zu erwartende Kraftstoffkosten oder die mit der Produktion verbundene Treibhausgasbilanz. Das hat zum einen den Zweck, den in CIRCULAIR untersuchten Prozess mit konkurrierenden Optionen vergleichen zu können, zum anderen können wir Rückmeldung an die Projektpartner geben, an welchen Stellschrauben gedreht werden sollte, um den Prozess aus ökonomischer oder ökologischer Sicht weiter zu verbessern.
Was sind die ersten Ziele, die das Projekt erreichen soll?
Wichtige Teilbereiche des CIRCULAIR Projekts basieren auf dem bereits abgeschlossenen EU-Projekt HyFlexFuel. Das erste Ziel besteht darin, mit einer existierenden Pilotanlage an der Universität in Aarhus aus Gülle und Stroh verschiedene Proben für die nachgelagerten Forschungsarbeiten zu produzieren. Dabei handelt es sich um ein zähflüssiges Rohöl, das zu einem möglichst hohen Anteil zu spezifikationskonformem Kerosin aufbereitet werden soll. Weiterhin entsteht beim HTL-Prozess ein Abwasser, das eine erhebliche Menge an löslichen Kohlenstoffverbindungen enthält, eine Gasphase mit hohem CO2-Gehalt sowie eine Art Biokohle. CIRCULAIR untersucht, wie sich alle diese Produktphasen aus dem HTL-Prozess möglichst sinnvoll nutzen lassen.
Basis sollen Materialien wie Gülle und Stroh sein – ersteres ein Abfallprodukt, das durchaus auch in der Landwirtschaft eingesetzt wird, letzteres hat ebenfalls seinen Platz in der Wertschöpfungskette. Entnimmt man dem funktionierenden landwirtschaftlichen Zyklus nicht wertvolle Produkte und riskiert, dass statt Gülle eher künstlicher Dünger eingesetzt wird?
Aus diesem Grund würde ich bei der Gülle nicht generell von einem Abfallprodukt sprechen, sondern eher von einem Reststoff. Es gibt durchaus Regionen, in denen für Gülle Entsorgungskosten anfallen, weil lokale Überschüsse bestehen. In solchen Fällen liegt also kein funktionierender landwirtschaftlicher Zyklus vor. Vielmehr werden Futtermittel importiert, die zuvor mit künstlichem Dünger hergestellt wurden, was lokal zu Nährstoffüberschüssen führt. Dort ist die Gülle eben kein wertvolles Produkt mehr, sondern in erster Linie ein Entsorgungsproblem. Bei Stroh sieht das anders aus: Sobald es in größeren Mengen zusammengeführt ist, hat es in der Regel einen sinnvollen Nutzen. Daher fokussieren wir uns im Projekt hauptsächlich auf Gülle. Es gibt aber Forschungsergebnisse, die nahelegen, dass sich bei der Umwandlung Synergieeffekte ergeben, wenn die Gülle mit einem bestimmten Anteil an Stroh vermischt wird. Zusätzlich zur reinen Güllenutzung wollen wir daher untersuchen, wie sich die Gülle im HTL-Prozess verhält, wenn sie mit verschieden hohen Anteilen Stroh prozessiert wird.
Gibt es denn Marktanalysen, in welchem Umfang das Ausgangsmaterial zur Verfügung stehen kann?
Im bereits erwähnten Vorgänger-Projekt HyFlexFuel wurde die regionale Verfügbarkeit landwirtschaftlicher Reststoffe für ganz Europa untersucht. Diese Arbeiten wurden damals am Deutschen Biomasseforschungszentrum (DBFZ) durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass Gülle und Stroh unter den landwirtschaftlichen Reststoffen mit Abstand die höchste Verfügbarkeit aufweisen. Rein theoretisch ließe sich damit sogar der europäische Kerosinbedarf decken, falls der Kohlenstoff so effizient in Kerosin umgesetzt werden kann, wie wir es in CIRCULAIR aufzeigen wollen. In der realen Welt lässt sich vermutlich nur ein Bruchteil dieser Ausgangsmaterialien für die Kerosinproduktion mobilisieren. Ich halte es für denkbar, einige 10 Prozent des Kerosinbedarfs durch HTL-Kraftstoffe aus Gülle und Stroh zu ersetzen. Falls das gelingt, wäre es ein riesiger Erfolg.
Gibt es weitere positive Effekte, die das Projekt mit sich bringen könnte?
Die aktuelle Güllenutzung ist mit erheblichen Umweltauswirkungen verbunden, gerade in Regionen mit hohem Viehbestand. Das betrifft die Nitratbelastung des Grundwassers, sowie freigesetzte Gase. Ein Hauptproblem bei der Gasentwicklung sind die langen Lagerzeiten, da die Gülle nur zu bestimmten Wachstumsphasen ausgebracht werden darf. Durch die zeitnahe Umsetzung der Gülle kann die Luftverschmutzung und Klimawirkung durch diese Gase reduziert werden. Das gilt nicht nur für den HTL-Prozess, sondern auch für andere Verfahren, wie etwa der Nutzung von Gülle in Biogasanlagen. Beim HTL-Prozess entsteht außerdem eine Feststoffphase, die womöglich als eine Art Biokohle in den Boden eingebracht werden kann. Hier besteht allerdings noch erheblicher Forschungsbedarf, der in CIRCULAIR von der Universität Hohenheim adressiert wird. Idealerweise kann durch diese Feststoffe ein Teil der Düngewirkung der Gülle erhalten werden, vielleicht lässt sich sogar ein Teil des Kohlenstoffs dauerhaft im Boden speichern. Das ist ein sehr spannender Aspekt des Projekts, auch wenn für uns am Bauhaus Luftfahrt natürlich die Nutzung als nachhaltiger Kraftstoff im Vordergrund steht.
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