In aller Regelmäßigkeit fallen Student:innen ein Mal pro Semester in ein gehöriges Motivationsloch. Das kennt ihr auch? Schon schräg, wenn man das studiert, was man möchte und dann plötzlich extrem wenig Motivation für das eigene Studienfach übrig hat. Eine mögliche Erklärung dieses Phänomens: Möglicherweise seid ihr nicht nicht im eigenen Auftrag unterwegs und habt das falsche studiert.
Ein Fall aus meiner Praxis: Meine Kundin studierte seit vier Semestern Jura. Aber: Sie konnte so viel „büffeln“, wie sie wollte, sie kam nicht auf einen „grünen Zweig“. Sie klagte über Konzentrationsschwierigkeiten und darüber, dass sie es zunehmend schwieriger fand, einen Sinn in ihrem Studium zu finden. Sie hatte einen ausgesprochenen Sinn für Gerechtigkeit und hatte ein Vorbild: ihre Mutter. Die war Anwältin, erfolgreich, gerecht, populär. Und sie setzte sich effizient gegenüber ihren männlichen Kollegen durch.
Auch der Verdienst als Anwältin kam ihr attraktiv vor. Aber jetzt drohte ihr Jurastudium, das ihr nur mit exzellentem Abschluss zu einer echten Karriere als Anwältin verholfen hätte, zu scheitern. Sie hatte keinerlei Interesse an der Beschäftigung mit dem ganzen juristischem „Kleinkram”, wie sie das selber nannte, entwickeln können. Diese Misere drohte schon, mehrere Semester zu kosten. Sie wunderte sich über ihre Kommiliton:innen, die teils hochmotiviert ganze Nächte durchlernten und sich in den Veranstaltungen engagierten. Schließlich begann sie „unterstützende Medikamente“ zu nehmen, die aber nicht halfen.
Im Coaching wurde ihr klar, dass sie einem „Phantom” hinterherjagte: Dem Bild einer erfolgreichen, gut situierten und angesehenen Anwältin. Tatsächlich interessierte sie sich überhaupt nicht für die damit verbundenen Tätigkeiten, wie die besagten „kleinkarierten Recherchen“. Egal ob als Richterin, als Anwältin oder überhaupt als Juristin! Ihr wurde klar, dass ihre eigenen Interessen viel deutlicher in Richtung Naturwissenschaften gingen. Am stärksten in Richtung Physik. Neben ihrem Jura-Studium las sie viel, allerdings weniger Fachliteratur zum Thema Juristerei, sondern eher alles, was sie „in die Finger bekommen konnte“, zum Thema Physik. Manchmal auch Chemie. Es stellte sich heraus, dass sie ein „Doppelagent“ war. Sie studierte „im Auftrag“ ihrer Mutter, das eigentlich ungeliebte Fach Jura und kam kaum noch zur Beschäftigung mit den eigenen starken Interessen: den Naturwissenschaften.
Ihr müsst euren eigenen Weg gehen
Für meine Kundin schien es äußerst attraktiv, so zu sein wie ihre Mutter: Interessanter und anerkannter Beruf, zahlreiche Erfolge, hohes Einkommen, abwechslungsreiche Tätigkeit. Und genau das bekam sie als Tochter von ihrer Mutter vor allem als eigene sichere Zukunft empfohlen. Was sie kaum mitbekommen hatte, das war der Weg, den ihre Mutter zurückgelegt hatte, bis sie schließlich am Ziel angekommen war. Ihr Vater war Berufsmusiker in der örtlichen Philharmonie, doch das lag ihr gar nicht. Mit ihrem schon früh entdeckten naturwissenschaftlichen Interesse konnten ihre Eltern nichts anfangen. Und sie selbst entwickelte immer mehr Zweifel an ihrem eigenen Interesse, weil sie tatsächlich anfing zu glauben, dass ein Studium der Physik sie überfordern würde. Zu diesen Zweifeln trugen ihre Eltern erheblich bei, ohne dass ihnen das auch nur annähernd bewusst war. Einfach nur, indem sie hier und da den Gedanken, dass Naturwissenschaftlichen „unendlich kompliziert schienen“ – was für beide Eltern subjektiv gesehen der Fall war – bestärkten.
Auch der Rest der Familie unterstützte sie in die beruflichen Fußstapfen ihrer Mutter zu treten. Mit einem Abitursschnitt von 1,2 hatte sie keine Zugangsschwierigkeiten zu erwarten, aber Physik? Einstein? Stephen Hawking? Zu nerdy für eine Frau. Ihre Intelligenz und die „moralische“ Unterstützung durch ihre Eltern bescherten ihr zwei leichte und relativ interessante Einstiegssemester. Danach ging es mit ihrer Motivation stetig bergab.
Das falsche studiert? Ein Ausweg:
Im Laufe des Coachings arbeiteten wir ihre eigenen Interessen klar heraus und bereiteten die Entscheidung vor, das Fach zu wechseln. Einen wichtigen Nebeneffekt hatte die Beschäftigung mit ihrer inneren „Software“. Sie begann nicht nur in Bezug auf das Studienfach über ihre inneren Antreiber nachzudenken. Sie machte insgesamt eine ausführliche Inventur ihrer „Glaubenssätze“, also der Erziehungsbotschaften, die ihre Eltern ihr auf den Lebensweg mitgegeben hatten. Die übernehmen Kinder teils vollkommen unreflektiert. Oft behindert das im Erwachsenenalter die tatsächliche Eigenregie.
Gott sei Dank entschloss sie sich dann noch rechtzeitig, sich für Physik einzuschreiben. Ihre Jura-Semester schadeten ihr nicht. Wer weiß, wozu sie die dort erworbenen juristischen Grundkenntnisse und Denkweisen noch gebrauchen konnte. Aber als Physikstudentin startetet sie danach durch. Auf was sie sich später spezialisiert hat, kann ich leider nicht wiedergeben. Davon verstehe ich als Psychologe viel zu wenig!
Die Idee des Doppelagenten ist nicht neu
In den achtziger Jahren stellte man an der Universität Kiel fest, dass es in bestimmten Studienfächern eine gehäufte Anmeldung der Studenten bei der Beratungsstelle gab und damit verbunden eine häufigere Abmeldung von der jeweils bevorstehenden Prüfung wegen Prüfungsangst. Die eindeutigen Spitzenreiter waren wohl die Studienfächer Medizin und Jura. Schaute man genauer hin, stellte man aber fest, dass es sich gar nicht um Angst handelte, sondern um eine besondere Form von Desinteresse: Wenn ich mich selbst nicht für mein Studienfach interessiere, dann ist es auch schwierig, sich einer Prüfung zu stellen.
Es zeigte sich, dass gerade bei Jura und Medizin wohl das Bild eines erfolgreichen Arztes oder Juristen „wie der eigene Vater“ oder „wie die eigenen Mutter“ der ausschlaggebende Punkt war, und nicht die jeweiligen Inhalte der Fächer. Nach dem Motto: „Anwalt sein, das ist nicht schwer, Anwalt werden umso mehr“, reichte die Motivation einfach nicht aus, um die Anforderungen eines Studiums erfolgreich zu erfüllen.
Was das mit euch zu tun hat? Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder, ihr studiert ein Fach, das euch wirklich Spaß macht. Oder ihr studiert es durchaus, weil ihr hinterher gut verdient. Dann solltet ihr euch aber darüber klar sein, dass extrinsische Motivation in Form von Geld einer gewissen dauernden Inflation unterliegt, um dem wachsenden Bedürfnis intrinsischer Motivation nachzugeben, noch Paroli bieten zu können.
Die Erfahrung spricht dagegen.
Weitere Informationen unter www.coaching-fuer-hochbegabte.de