Meinungen polarisieren bisweilen. Das ist auch gut so, denn so kommen Diskussionen und damit Austausch zwischen unterschiedlichen Positionen auf. In diesem Sinne möchten wir von hitech-campus.de heute Bezug nehmen auf ein Interview des Head Hunters Klaus Hansen in der SZ (Klick zum Beitrag).
Head Hunter hatten bisher eine bequeme Vergangenheit. Es galt als äußerst positiv, wenn man sich nicht auf eine Stelle bewerben musste, sondern vom Unternehmen oder einem Head Hunter angesprochen wurde. Man war „in“ und gefragt, damals fast eine Luxussituation. Diese Situation hat sich deutlich gewandelt – die Leier von Arbeitnehmermarkt, die Geschichte vom Unternehmen, das sich bei den zukünftigen Mitarbeitern bewerben muss – das ist kein neuer Fantasy-Epos, sondern längst Realität.
Das wahre Problem: Der Arbeitnehmermarkt
Umso härter wurde also das Geschäft von Head Huntern wie Klaus Hansen. Kandidaten reagieren nicht mehr beeindruckt oder geschmeichelt, wenn das Telefon klingelt: Sie sind die stärkere Marktmacht und das selbstbewusste Produkt, das Herr Hansen nicht mehr so leicht verkauft. Stattdessen haben sie selbst Anforderungen, die sie stellen, Wünsche, die sie hegen und Vorstellungen, die idealerweise realisiert werden sollten. Und das? Ist vollkommen okay so. Wäre es andersherum, würden Unternehmen es genauso machen – das klassische Prinzip der stärkeren Position am Markt. Wenn aber Angebot und Nachfrage nicht mehr zusammenpassen, scheitert die Vermittlung leichter. Nun könnte man natürlich auf den ganz verrückten Gedanken kommen, dass man den Unternehmen dieses Fazit zurückspielt, sodass diese ihr Angebot anpassen und damit besser zu den potenziellen Kandidaten. Klaus Hansen hat damit aber ein Problem. Wortwörtlich gibt er das mit „Die Arbeitnehmer, die in den 1980er Jahren und später geboren sind, leben nicht, um zu arbeiten. Sie wollen das Leben genießen.“ wieder.
Leben, um zu arbeiten?!
Also wirklich, was fällt euch und uns bitte ein – wir leben nicht, um zu arbeiten! Sollte es in diesem zynischen Leben etwa einen anderen Sinn und Zweck geben, als Unternehmenswerte zu steigern? Wer braucht denn schon Feierabende oder Wochenenden mit Freunden und Familien, wenn man die Zeit im Büro verbringen kann. Wir leisten zu wenig! Mit Blick auf den Dieselskandal oder auch die deutsche Bank könnte man aber auch ruhig mal das Missmanagement von Vorständen ins Auge fassen – und deren Auswirkung auf die Wirtschaft.
Aber, Asien!
Aber nein, schließlich müsse man mit Asien konkurrieren, wo die Leistungsbereitschaft so viel höher sei. Lieber Herr Hansen, Pustekuchen. „Demnach liegen die Fehltage wegen Krankheit einerseits und der Präsentismus andererseits in Asien besonders hoch. Als Präsentismus wird das Erscheinen von Arbeitnehmern an ihrem Arbeitsplatz beschrieben, die krank oder angeschlagen sind und daher nicht produktiv arbeiten können“ – so zumindest der Business Insider in Anspielung auf die Studie „AIA Vitality Healthiest Workplace“, die auch in der Financial Times präsentiert wurde. Die Infos vom Business Insider sind online leider nicht mehr abrufbar. Mobbing sei ein starkes Phänomen in Asien, mentale Probleme sowie verlorene Produktivität – in Hong Kong gehen Arbeitnehmern 71 Arbeitstage ab, weil es einfach zu viel, zu hart, zu belastend ist. Auch ohne Urlaub gerechnet macht das knapp ein Viertel aller Arbeitstage im Jahr aus. Support-Systeme für kranke oder erschöpfte Mitarbeiter gäbe es zudem sehr selten. Im Übrigen arbeiten Hong Kongs Einwohner im Schnitt 48 Stunden pro Woche.
Davon auch noch abgesehen: Wie relevant ist der Vergleich zu Asien wirklich? Der ist stark abhängig von der jeweiligen Industrie – und der eingesetzten Arbeitskraft, beispielsweise Innovationsarbeit im Vergleich zu produzierenden Gewerben. Aber Hauptsache, man hat ein möglichst plakatives Beispiel gewählt, um nicht zu sagen vulgärökonomisch.
Kritik an falscher Stelle, mit und ohne Humor
Ernsthaft, lieber Herr Hansen, damit sollen wir konkurrieren? Ein Player im internationalen Markt hebt das Arbeitslevel auf ein rotes Niveau und anstatt dieses zu kritisieren, wird die Marktsituation in Deutschland als nicht leistungsbereit genug bemängelt. In Beratungshäusern lege man den Stift nicht weg, wenn es draußen dunkelt, stellt Herr Hansen ganz rechtschaffen und leistungsbereit in seinem SZ-Interview fest. Zum einen sollte man diese Redewendung vielleicht auf die digitale Zeit anpassen, zum anderen fragt sich der Sarkasmus: Rechnet Herr Hansen da in Sommer- oder Winterzeit? Auch bei ernsthafteren Betrachtungen kommen wir hier nicht in den grünen Bereich: Es hat seine Gründe, warum Unternehmen und sogar Agenturen diskutieren, eine 4-Tage-Woche einzuführen. Dort wird die Stundenzahl bei vollem Lohnausgleich reduziert, solange das gleiche Arbeitsvolumen umgesetzt wird. Warum? Weil man bei 5 Stunden am Tag konzentrierter und fokussierter agiert als bei 8 Stunden plus Pausenzeit und Überstunden.
Natürlich basiert ein Arbeitsverhältnis auf klaren Vertragsbedingungen: Stundenzahlen, die zu leisten sind, manchmal mit und manchmal ohne Gleitzeit, Bereitschaft zu Wochenendtätigkeiten und Reisen – das wird alles im Vertrag festgehalten und beide Seiten haben sich daran zu halten, fertig, aus. Darüber hinaus kann Arbeit extrem erfüllend sein, insbesondere, wenn sie für den Mitarbeiter einen Sinn bereithält. Ansonsten ist Arbeit eben ein Faktor im Leben – neben mehreren anderen. Also nein, bei allem Respekt, niemand sollte nur leben, um zu arbeiten.
Post Scriptum
Natürlich kann man sich nach der Lektüre des Interviews auch überlegen: Die Unternehmen bezahlen Head Hunter für die Vermittlung. Diese wird schwerer, irgendjemand muss aber an dieser Situation ‚offiziell so schuld sein‘, dass die Schuld nicht bei den Head Huntern liegt und zahlenden Kunden darf man als Dienstleister in tradierten Systemen nicht auf die Füße steigen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Text: Bettina Riedel
Ceterum censeo carthaginem esse delendam.