Warum bei der Gründung Leidenschaft und Ausdauer wichtigere Eigenschaften als Fachwissen sind und frühes Feedback der Schlüssel zum Erfolg ist, erzählt Prof. Dr. Holger Patzelt, Professor für Betriebswirtschaftslehre und Entrepreneurship an der TU München. Außerdem verrät er uns, in welchen Branchen er bahnbrechende Geschäftsideen erwartet und welche Gründer:innen ihn ganz persönlich beeindrucken.
„In meiner Funktion als Leiter des TUM Entrepreneurship Research Institute arbeite ich mit vielen Gründern und Gründerinnen zusammen, die ganz tolle Persönlichkeiten sind. Etwas, das sie alle gemein haben, ist die Leidenschaft für das eigene Projekt. Das ist das Allerwichtigste, bevor man sich in eine Gründung stürzt. Gründungen sind keine Sprints, sondern Marathons mit vielen Höhen und Tiefen. Dafür muss man Resilienz und Durchhaltevermögen mitbringen. Wesentlich sind auch Teamgeist und gute Kommunikationsfähigkeiten, weil eine Gründung ein sehr sozialer Prozess ist, der viele Stakeholder einbindet. Außerdem ist es wichtig, gerne und schnell zu lernen und sich in neue Themengebiete einarbeiten zu können. Diese Eigenschaften sind wichtiger als Fachwissen.
Wie viel Erfolg verspricht meine Geschäftsidee?
Über Prototyping und das Sammeln von Feedback früh im Ideenentwicklungsprozess können Geschäftsideen und -modelle gut validiert werden. Das Risiko, zu früh zu viel zu verraten, ist in den seltensten Fällen vorhanden. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass ein:e Gesprächspartner:in die gleiche Leidenschaft und auch das gleiche Wissen für die Idee aufbringt wie die Gründenden. Deshalb empfehle ich auf jeden Fall, früh Feedback von potenziellen Kunden und Experten einzuholen.
Auch der Standort spielt bei der Gründung eines Unternehmens eine Rolle. Da die verschiedenen Landesbanken verschiedene Fördermöglichkeiten bieten, gibt es regionale Unterschiede bei möglicher Frühphasenförderung. Allerdings sind vor allem an Universitäten Finanzierungmöglichkeiten wie das Gründerstipendium EXIST allen Hochschulen bundesweit zugänglich. Gerade das EXIST-Programm hilft nicht nur an der TU München vielen Teams, ihre Gründungsprojekte voranzutreiben. Insgesamt sind die Fördermöglichkeiten in Deutschland im Frühphasenbereich gut. Probleme gibt es eher in der Wachstumsfinanzierung von privater Seite, aber auch hier haben wir in Deutschland gute Fortschritte gemacht, wie sehr große Finanzierungsrunden in den letzten zwei, drei Jahren gezeigt haben.
Top oder Flop – Diese Bereiche versprechen die coolsten Gründungen
Ich glaube, dass vor allem die Robotik und Medizintechnik, aber auch der Mobilitätssektor, Start-ups hervorbringen werden, die radikal neue Ansätze verfolgen und die Welt verändern können. Ich denke hier zum Beispiel an elektrisch fliegende Taxis, vollautomatisierte und KI-gesteuerte Fabriken oder revolutionäre Ansätze in der Medizin. Es ist kein Zufall, dass die wirksamsten und technologisch modernsten Corona-Impfstoffe von den (für Biotech-Firmen) noch jungen Unternehmen BioNTech und Moderna hervorgebracht wurden.
Im Gegenteil wundert mich vor allem, dass immer noch so viel Geld in E-Commerce, insbesondere Lieferdienste für Essen und Derartiges fließt. Das ist meiner Meinung nach ein völlig überschätztes Gebiet mit zweifelhafter Wertschöpfung, in dem die Geschäftsmodelle auf der Ausbeutung der Auslieferer basieren. Das kann nicht nachhaltig sein – auch die Konkurrenz ist enorm. Nicht umsonst sind praktisch alle Firmen in diesem Sektor auch nach Jahren noch defizitär und ohne konkrete Aussicht auf Profitabilität. Hier würde ich persönlich kein Geld investieren.
Diese Gründer:innen schaffen es, zu beeindrucken
Als Entrepreneur:innen, die mich dagegen persönlich fasziniert haben, fallen mir spontan mir die Gründer von Inveox, Maria Sievert und ihr Mann Dominik ein. Auch air-up-Gründerin Lena Jüngst finde ich sehr inspirierend und beeindruckend. Daniel Wiegand von Lilium und das ganze Celonis-Team sind sind fantastische Entrepreneure. Und wir haben tolle Sozialunternehmer:innen wie Zarah Bruhn von Social Bee oder Daniel Kehne von Integreat. Dies sind nur ein paar der vielen beeindruckenden Gründer:innen, die in den letzten Jahren aus der TU München hervorgegangen sind; ich könnte noch sehr viele Namen aufzählen. Sie alle vereinen die Eigenschaften, die ich oben schon genannt habe und die junge Gründer:innen von ihnen ganz besonders lernen können.“
Prof. Holger Patzelt studierte Chemie und Betriebswirtschaft und war stellvertretender Direktor der Arbeitsgruppe Entrepreneurship, Growth and Public Policy am Max-Planck-Institut für Ökonomik in Jena, bevor er 2010 an die Technische Universität München auf einen Lehrstuhl für Entrepreneurship berufen wurde. In seiner Forschung untersucht er die Kognition und das Verhalten von Gründenden sowie Prozesse in unternehmerischen Teams und Strategien von Startups. Er ist Research Fellow an der Wilfrid Laurier University in Waterloo, Canada sowie Mitglied der Deutschen Akademie für Technikwissenschaften acatech.