Jugendliche nutzen soziale Medien sehr intensiv und gelten laut gängigem Vorurteil als nicht sehr bewandert darin oder interessiert daran, Desinformation zu erkennen und die Verbreitung zu stoppen. Dabei entwickeln gerade Jugendliche eigene Strategien, um die Vielzahl an Informationen zu bewältigen – ihre Erfahrungen könnten also wertvoll im Kampf gegen Desinformation sein. Bettina Pospisil von der UWK Krems und Lukas Daniel Klausner von der FH St. Pölten nehmen sich dieses Themas an und berichten in HI:TECH CAMPUS über Hintergründe und Vorgangsweise.
Sie haben das Projekt „Young Citizen Scientists Against Disinformation“ ins Leben gerufen – wieso und welche Ziele hat es?
Wir beide sind in der Wissenschafts- und Technikforschung (Science and Technology Studies, STS) tätig, einer Disziplin, die unter anderem die Wissenschaft selbst mit ihren Methoden und Annahmen erforscht und hinterfragt. Vor diesem Hintergrund fiel uns auf, dass das Phänomen „Desinformation“ (oder auch „Fake News“) online, medial, aber auch wissenschaftlich gerade aus vielerlei Gründen sehr viel Aufmerksamkeit bekommt. Sehr häufig scheint man davon auszugehen, dass Forscher:innen die Expertise besitzen und die Medienkonsument:innen quasi arg unbedarft sind und unsere Hilfe brauchen. Oft sieht das dann so aus, dass technische, juristische oder sozialwissenschaftliche Forscher:innen bestimmten Personengruppen wie Journalist:innen oder der Bevölkerung an sich die Welt erklären und zum Beispiel ein Tool zur Verfügung stellen. Damit wird jedoch von vornherein suggeriert, dass einerseits die betreffenden Personengruppen ungenügend informiert und nicht fähig sind, sich selbst zu helfen, und eben diese Unterstützung von außen brauchen; andererseits wird davon ausgegangen, dass Medienkonsument:innen wenig bis nichts zur Lösung beitragen können.
Mit unserem Projekt versuchen wir diese Denkweise auf den Kopf zu stellen. Wir wollen aufzeigen, wie die wissenschaftliche Expertise erst zusammen mit den Erfahrungen und dem Wissen von Jugendlichen als Expert:innen ihrer eigenen Lebenswelt, aber auch im Sinne der Citizen Science als Forscher:innen mit anderer Perspektive auf das Thema Desinformation, wirksam und anwendbar wird. Damit verfolgt das Projekt vier Ziele:
(1) Wissen zum Thema Desinformation aus der Perspektive junger Erwachsener zu gewinnen;
(2) ggf. ein Citizen-Science-basiertes Konzept für eine künftige Desinformationsplattform oder Werkzeug zu entwickeln, um dieses Wissen besser anwenden zu können;
(3) die Jugendlichen aktiv dabei zu unterstützen, bestehende Fähigkeiten zur kritischen Bewertung und Bekämpfung von Desinformationen weiter auszubauen und Selbstsicherheit im Umgang damit zu schaffen;
(4) Wissenschaft und Gesellschaft miteinander zu verbinden, indem ein Raum für Kooperation und Weiterentwicklung auf beiden Seiten geschaffen wird.
Während die jungen Erwachsenen etwas über die wissenschaftliche Arbeit erfahren, lernen wir Wissenschaftler:innen etwas über die Erfahrungen und den Umgang junger Erwachsener mit (Des-)Information. Durch die Einbindung des Gegenübers in die Datenerhebung und -analyse können beide Gruppen voneinander lernen und von der Zusammenarbeit profitieren.
Warum fokussieren Sie sich so konkret auf Jugendliche?
Besonders in Bezug auf Jugendliche ist die oft vorherrschende Ansicht, dass diese zwar soziale Medien so häufig nutzen wie kaum eine andere Altersgruppe, dabei jedoch zu wenig Zeit darauf verwenden, Informationen kritisch zu hinterfragen, die sie daraus beziehen. Daraus hat sich das Klischee entwickelt, dass diese Personengruppe zu wenig Kompetenz und vielleicht auch zu wenig Interesse daran hat, (Des-)Information kritisch zu hinterfragen und richtig einzuschätzen, bevor dieser geglaubt oder sie gar weiterverbreitet wird. Der existierenden Forschung zufolge stimmt es zwar, dass Jugendliche bei der Nutzung und beim Konsum digitaler Medien an vorderster Front stehen. Dies führt jedoch auch dazu, so erste Studien zu diesem Thema, dass sie in ihrem Alltag Mechanismen entwickeln müssen, um mit einer Flut an Informationen umzugehen, die für andere Personengruppen nicht zu bewältigen scheint. Daher haben die Erfahrungen, Bewertungs- sowie Bewältigungsmechanismen der Jugendlichen das Potenzial, bei der Bekämpfung von Desinformation online eine führende Rolle zu spielen. Um dies zu bewerkstelligen, müssen sich jedoch, anstatt nur passive Forschungsobjekte zu sein, viel mehr als aktive Teilnehmer:innen in die Forschung mit einbezogen werden. Genau dies wollen wir durch die Mitwirkung der Jugendlichen als Forscher:innen (also als Citizen Scientists) ermöglichen.
Wie gehen Sie bei diesem Projekt vor?
Im Projekt werden die jungen Erwachsenen einerseits als Citizen Scientists in die Konzeption, Erhebung, Auswertung und Dissemination einbezogen. Um ihre Bedürfnisse zu erforschen, werden die jungen Erwachsenen aber auch als beforschte Personen in das Projekt einbezogen. Um die Datenqualität zu sichern, ist es von großer Bedeutung, diese Rollen zu unterscheiden. Als Citizen Scientists werden die Jugendlichen zuallererst eingeladen, das Phänomen „Desinformation“ aus ihrer Sicht zu definieren und das Forschungsprojekt auf ihr spezifisches Interesse hin anzupassen. Darüber hinaus sammeln die Citizen Scientists Beispiele für (Des-)Informationen, die ihnen in ihrem Alltag begegnen, und teilen sie mit uns. Dabei wird den Jugendlichen bewusst keine klare Definition oder thematische Beschränkung vorgegeben. Entscheidend ist, welche Inhalte ihnen in ihrem Alltag begegnen und was für sie relevant ist. Während die Jugendlichen (Des-)Informationen sammeln, bereiten wir Wissenschaftler:innen mit Hilfe von Literaturrecherche und Dokumentenanalyse Materialien und Fragen zu drei Themenbereichen auf, die gemeinsam mit den jungen Erwachsenen als beforschte Personen diskutiert werden. Diese Themenbereiche umfassen (1) existierende Perspektiven und Ansätze der Wissenschaft; (2) staatliche Eingriffe und Datenschutz; sowie (3) technische Lösungen und Anwendungen. All diese Inhalte, die Desinformations-Sammlung und die aufbereiteten Themen und Materialien, werden dann in unterschiedlichen Formaten wie kartenbasierten Gruppendiskussionen, praktischen Workshops oder interaktiven kreativen Formaten mit den jungen Erwachsenen diskutiert, erarbeitet und/oder bewertet. Das Format folgt dabei dem Prozess der nutzer:innenorientierten Gestaltung. Danach können die Jugendlichen unter Anleitung der Wissenschaftler:innen auch an der Analyse und Auswertung dieser Diskussionen teilhaben. Da sie als Beforschte aber Teil der Informationsgewinnung sind, bekommen sie für diese Analyse das anonymisierte Material einer anderen Klasse/Schule vorgelegt, um Verzerrungen zu vermeiden. Abschließend werden die Ergebnisse mit den jungen Citizen Scientists gemeinsam sowohl in der Wissenschaft als auch der Öffentlichkeit verbreitet.
Welche Rolle spielt KI oder Technologien wie Deep Fakes in Ihrer Forschung?
Das Thema KI ist natürlich eng mit Desinformation verknüpft und wird sicherlich auch im Rahmen des Projektes Thema sein. Entscheidend ist aber, dass es stets in dem Kontext behandelt wird, in dem die Jugendlichen selbst ihm begegnen. KI kann beispielsweise im Kontext der gefunden Desinformation zum Thema werden, sollten die Citizen Scientists Inhalte wie Deep Fakes mit uns teilen. Andererseits könnten Citizen Scientists aber auch über ihre Erfahrungen mit KI-Tools berichten, wenn es um technische Werkzeuge zur Bekämpfung von Desinformation geht oder um die Frage, wie rechtliche Gegenmaßnahmen aussehen können. Je nachdem, in welchem Kontext ein technisches Werkzeug wie KI aufgegriffen wird, ändert sich die Perspektive auf Möglichkeiten und Beschränkungen der Technologie. Somit wird es zu verschiedenen Zeitpunkten und zu verschiedenen Aspekten im Projekt von Relevanz sein.
Desinformation kann in vielen Schattierungen kommen – eben nicht nur eine akute Falschinformation, sondern auch in Form falscher Kausalität. Spiegelt sich dies auch in Ihrem Projekt wieder?
Der Fokus unseres Projektes liegt nicht darin zu bewerten, ob etwas nach wissenschaftlichen oder journalistischen Maßstäben Desinformation ist oder nicht, sondern wie Jugendliche in ihrem Alltag damit umgehen, große Mengen an Informationen in kurzer Zeit einzuordnen. Gerade weil es ein Citizen-Science-Projekt ist, das sich stark an der Lebenswelt der Jugendlichen orientiert, gehen wir sehr (ergebnis)offen an das Thema Desinformation heran. Der Dreh- und Angelpunkt des Projektes ist es somit, dass die jungen Citizen Scientists selbst entscheiden, was sie als Desinformation einschätzen und was nicht. Aus diesem Grund ist es auch so wichtig, dass wir die Inhalte nachträglich näher mit Ihnen besprechen und diskutieren, um herauszufinden, was Desinformation in diesem Kontext für sie ausmacht. Damit beschäftigt sich unser Projekt nicht nur mit reiner Falschinformation an sich, sondern eben auch mit irreführender In-Kontext-Setzung, soweit diese für die Jugendlichen relevant ist.
Bei den Strategien gegen Desinformation: Wo setzen diese an – beim Umgang mit Desinformation, beim Ausgangspunkt der falschen Information?
Aus wissenschaftlicher Perspektive gibt es verschiedene Strategien, um gegen Desinformation vorzugehen. Was unser Projekt mit klassischen Strategien im Kampf gegen Desinformation eint, ist der Fokus auf jenen Moment, wenn Desinformation von der Zielgruppe (in unserem Fall Jugendliche) rezipiert wird. Diese klassischen Strategien verfolgen meist das Ziel, Desinformation und deren Verbreitung zu „bekämpfen“ und zum Beispiel mit Informationsplattformen oder technischen Tools die Einschätzung des Wahrheitsgehaltes oder der Glaubwürdigkeit der Inhalte zu verbessern. Das vorliegende Projekt kritisiert diese Vorgehensweise ein Stück weit und hinterfragt das tatsächliche Potenzial einer solchen einfachen Lösung für das überaus komplexe Problem Desinformation. Unser Projekt geht einen Schritt zurück und möchte das Phänomen Desinformation aus Perspektive von jungen Citizen Scientists besser verstehen. Somit sind es jene Strategien gegen Desinformation, die Jugendliche im Alltag anwenden oder gerne anwenden würden, die wir im Rahmen des Projektes beobachten wollen. Diese Prozesse besser zu verstehen ist ein zentraler Teil unseres Forschungsvorhabens.
Über „Young Citizen Scientists Against Disinformation“
Das Forschungsprojekt YCSAD wird gemeinsam durch die Universität für Weiterbildung Krems und die Fachhochschule St. Pölten über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren durchgeführt. Das Projekt erfüllt die strengen Qualitätskriterien der österreichischen Citizen Science-Plattform „Österreich forscht“ und ist auf der Plattform gelistet (www.citizen-science.at). Das Projekt wird durch die Gesellschaft für Forschungsförderung Niederösterreich im Rahmen der FTI-Strategie Niederösterreich 2027 finanziert.