Die Industrie war lange einziger Nutznießer neuer 5G-Anwendungen, doch der private Sektor holt auf. Aber braucht man einen 5G-Handyvertrag? Kann man mit 5G zu Nachhaltigkeit beitragen? Wir sprachen dazu mit Prof. Holger Stahl und Prof. Markus Stichler von der Technischen Hochschule Rosenheim.
Prof. Stahl, für 5G wurden Frequenzen versteigert, deren Preise kurz nach der Vergabe heftig kritisiert wurden. Anbieter jedoch können nach der Abschaltung der 2G und 3G-Frequenzen diese nun für 5G nutzen. War die Kritik mehr politisch motiviert?
Es ist verständlich, dass 6 Milliarden Euro erstmal sehr viel erscheinen – vor allem für junge Menschen, die ja die erste Auktion dieser Art im Jahr 2000 nicht miterlebt haben. Bei der damaligen Versteigerung der UMTS/3G-Frequenzen in Deutschland wurden rund 50 Milliarden Euro Auktionserlös erzielt. Von 5 Anbietern sind 2 unmittelbar vom Markt gegangen, weil sie sich übernommen hatten. Bei den „Überlebenden“ und deren Kunden haben die immensen Ausgaben die Begeisterung für mobiles Internet in Deutschland auf Jahre hinweg gedämpft und die Einführung von 3G verschleppt.
Heutzutage gibt es viel mehr Mobilfunkteilnehmer, auf die sich die Kosten verteilen, als damals – und genügend Gründe, den Nutzen einer guten Mobilfunkversorgung entsprechend zu bezahlen. Die Tatsache, dass bei derartigen Auktionen tatsächlich geboten wird und der Ausgang nicht vorhersagbar ist, zeigt unserer Meinung nach nur, dass die Marktwirtschaft funktioniert und es keine wirksamen Absprachen zwischen den Bietern unter der Hand gegeben hat. Und die Umwidmung der 2G- und 3G-Frequenzen auf die neue 5G-Technologie ist durch den Mehrwert von 5G klar gerechtfertigt.
Ende 2021 gab die Bundesnetzagentur die Abdeckung durch 5G mit knapp 53 Prozent an, während 3G bereits abgeschaltet wurde. Damit passierte es, dass es in manchen Bereichen nur einen Anbieter gab, der 4G (LTE) anbot. Kann das zukünftig dazu führen, dass in gewissen, vermutlich ländlichen, Regionen eine Art Anbieterzwang entsteht?
Prof. Stichler: Eines ist klar: Die 3G-Mobilfunkgeneration ist am Ende ihrer Lebensdauer angekommen. Dass die Netz- abdeckung in der ländlichen Fläche Deutschlands nicht wirklich den Erwartungen entspricht, die man an ein führendes Industrieland stellen darf, ist kein Geheimnis. In manchen Gegenden kommt es tatsächlich vor, dass es nur einen Anbieter für 2G und/oder 3G gibt – im Extremfall sogar gar keinen. Die Ergänzung durch 5G sollte sich aber hier im Allgemeinen nicht zum Nachteil der Kunden auswirken. Da jedoch die einzelnen Funkzellen bei 5G eine kleinere Abdeckung haben als bei 2G beziehungsweise 3G, könnte sich die Abschaltung von 2G/3G eventuell negativ auswirken.
Bisher profitierte vor allem die Industrie von 5G, weil mehr Daten in geringerer Zeit ausgetauscht werden können. Welche Anwendungen sind die aus Ihrer Sicht sinnvollsten?
Prof. Stichler: Die Industrie ist in der Tat derzeit als Endnutzer ein wichtiger – wenn nicht der wichtigste – Treiber der 5G-Technologie: 5G ist in vielen Anwendungen auf die Bedürfnisse der Industrie zugeschnitten und wurde auch als Schlüsseltechnologie zur Realisierung von Industrie 4.0 und der darin enthaltenen Digitalisierung entwickelt. Beispiel hierfür ist die Vernetzung von Produktionsstätten, in denen das unzuverlässige W-LAN durch einen gemieteten Anteil – sogenannter „Slice“ – oder sogar durch sogenannte Campusnetze des 5G-Mobilfunknetzes ersetzt werden. Ein anderes Beispiel sind Virtual-Reality-Anwendungen, beziehungsweise digitale Zwillinge, die mit extrem hohen Datenraten, mobil und in Echtzeit zur Überwachung von Produktionsstätten ablaufen. Visionen, was noch alles möglich sein wird, gibt es jetzt schon viele und der Fantasie sind zum Glück keine Grenzen gesetzt. Letztendlich stellen die 5G-Netze mit ihrer hohen Netzkapazität und Flexibilität aber nur die Infrastruktur für all diese Visionen zur Verfügung, von denen sicher auch private Nutzer profitieren werden. In der Realität werden sich die Hersteller, die Netzbetreiber und die Anwender gegenseitig mit Angeboten und Begehrlichkeiten hochschaukeln – und sicherlich neben den industriellen Business Cases auch Anwendungen für Privatnutzer finden, an die heutzutage noch gar niemand denkt.
Eine Frage aus unserer Leserschaft: „Brauche ich privat überhaupt einen 5G Vertrag oder merkt man den Unterschied zu LTE nicht?“
Prof. Stahl: Für Personen, die gut mit 4G versorgt sind und die neben Telefonieren, WhatsApp und gelegentlichem Herunterladen des Wetterberichtes nichts Weiteres von ihrem Smartphone erwarten, bringt 5G wahrscheinlich keinen Zusatznutzen. Aber es werden – wie schon angemerkt – ganz sicher neue Anwendungen kommen, die die neuen Features des 5G-Netzes nutzen und für die private Nutzer bereit sein werden, den Mehrwert zu zahlen. Darüberhinaus wird 5G nicht der letzte Funkstandard sein: Schon heute arbeiten Experten an 6G, um weitere Wünsche, Forderungen und Visionen für die Zukunft zu realisieren.
Stimmt es nach aktueller Lage, dass ein 5G-Funkmast deutlich geringere Flächen abdeckt und daher im Vergleich zu 4G mehr Masten aufgestellt werden?
Prof. Stahl: JEIN – pauschal lässt sich diese Frage nicht beantworten: Der 5G-Standard ist der variantenreichste Mobilfunkstandard, den es je gegeben hat und je nach Variante unterscheidet sich auch die Funkabdeckung eines 5G-Funkmastes. Unter anderem gibt es viele verschiedene Frequenzbänder, in denen die Übertragung stattfinden kann:
- Der Frequenzbereich 1 (FR1) geht von 600 MHz bis 6 GHz, erlaubt eine Brandbreite von bis zu 100 MHz und deckt damit auch den bisher für Mobilfunk genutzten Bereich ab. Demzufolge ist auch die Abdeckung eines Funkmasts vergleichbar mit den bisherigen Standards.
- Der Frequenzbereich 2 (FR2) erlaubt eine Bandbreite von bis zu 400 MHz und rangiert zwischen 24 und 39 sowie zwischen 60 und 80 GHz im Millimeterwellenbereich. Diese Frequenzbereiche eignen sich aufgrund der hohen Bandbreite für extrem hohe Datenraten, haben aber eine geringere Reichweite. Für diesen Zusatznutzen müssen demzufolge zusätzliche neue Funkmasten, eigentlich Basisstationen genannt, aufgestellt werden. Von Netzen und Endgeräten dürfen wir einen Betrieb im FR2 etwa ab dem Jahr 2025 erwarten.
Der Begriff Funkmast ist in der Fachwelt übrigens überhaupt nicht gebräuchlich und die allerwenigsten dieser neuen Basisstationen sollen überhaupt auf so betitelten Funkmasten befestigt werden: Es gibt Visionen, nach denen in Gebieten mit hoher Teilnehmerdichte und entsprechend hohem Datenaufkommen, etwa den Innenstädten, alle Straßenlaternen mit 5G-Antennen ausgerüstet werden. Diese neuen Antennen strahlen aber nicht nach dem Gießkannenprinzip in alle Richtungen, sondern gerichtet auf genau diejenigen Teilnehmer, die die hohe Datenrate gerade wirklich benötigen.
Dieses sogenannte Beamforming maximiert die Datenrate für den dedizierten Nutzer, und spart gleichzeitig Energie ein und reduziert den „Elektrosmog“ für Nichtnutzer. Damit Nutzer nicht von Basisstation zu Basisstation springen müssen, arbeiten benachbarte Basisstationen zusammen, um Teilnehmer gemeinsam mit einem guten Signal zu versorgen.
Kann man mit Anwendungen, die mit 5G arbeiten, einen positiven Impact auf die Umwelt haben?
Prof. Stichler: Ja, ich kann mir positive Wirkungen für die Umwelt vorstellen. Dabei denke ich weniger an die oft zitierte geringere Energie, die bei 5G pro übertragenem Bit im Vergleich zu 4G verbraucht wird – denn dieser Vorteil wird durch den steigenden Datenverkehr sicher mehr als relativiert werden. Plausibler erscheint mir die Chance, durch clevere Konzepte mit 5G Energie- und Materialressourcen sowie Mobilität einzusparen. Nichts ist unmöglich!
Welche Kritik an 5G ist dennoch valide und erfordert Weiterentwicklung, um das Problem zukünftig zu beheben?
Prof. Stahl: Dass 5G zu aufwändig, zu teuer, zu langsam oder noch zu wenig in der Bevölkerung akzeptiert sei – all diese Probleme erledigen sich erfahrungsgemäß mit den Jahren nach der Einführung von selbst. Erstens werden sich der Standard und die Geräte ständig weiterentwickeln, und zweitens die Akzeptanz in der Bevölkerung durch attraktive Anwendungen, niedriger werdende Preise und ausbleibende Gesundheitsschäden steigen. Nichtsdestotrotz arbeiten Experten, wie oben bereits erwähnt, schon an dem nächsten Standard 6G, um genau dieser Kritik entgegenzuwirken.
Weitere Beiträge, beispielsweise aus dem Karrierenetzwerk Data Science, findest du hier.