Wer als junger Mensch eine neue Stelle mit Management-Verantwortung antritt, sieht sich einigen Herausforderungen gegenüber: Wie lebt man flache Hierarchien? Wie bleibt man den eigenen Führungsprinzipien treu oder entwickelt diese? Antworten auf diese Fragen sowie weitere gibt uns Prof. Philipp Riehm von der Hochschule Macromedia.
Wenn eine neue Generation heranwächst, gibt es immer eine Art Generationenkonflikt. Wogegen müssen sich junge Führungskräfte derzeit (nach Ihrem Ermessen) „nach oben“ wehren?
Die gute Nachricht ist erst einmal, dass sich viele junge Führungskräfte nicht nach oben wehren müssen. Zu mir als Coach kommen ja nur diejenigen, die in einer problematischen Situation sind. Von denen berichten aber einige von einem Generationenkonflikt, der sich im Wesentlichen auf ein unterschiedliches Werteverständnis von Arbeit zurückführen lässt. Ältere Führungskräfte „oben“ sind dort ja angekommen, weil sie oft härter und länger als die anderen gearbeitet haben und ihrer Karriere einen hohen Stellenwert im Leben gegeben haben. Ein ähnliches Verhaltensmuster wünschen sie sich dann auch von ‚ihren‘ Nachwuchs-Führungskräften - aber unsere Gesellschaft verändert sich. Viele jüngere Menschen haben eine andere Auffassung von Work-Life-Balance, denn Freunde und Familie nehmen für viele heute einen hohen Stellenwert ein. Und auch die Motivation zu arbeiten hat sich bei vielen Menschen geändert: Sicherheit und Gehalt spielen nach wie vor eine große Rolle, aber neue Faktoren wie Sinn der Arbeit, Fragen der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit und Selbstverwirklichung treten daneben. Es gibt viele Firmen, die auf diese neuen Faktoren noch keine zufriedenstellende Antwort geben können.
In Führungsrollen wächst man erst hinein. Was dürfte das erste große Learning für jede junge Führungskraft sein?
Von vielen unserer Absolventinnen und Absolventen höre ich, dass sie überrascht über den Zeitaufwand sind, den das Führen von Menschen mit sich bringt. Die operative, direkt wertschöpfende Arbeit tritt in den Hintergrund, denn das machen ja jetzt die Mitarbeitenden. Dafür müssen sie aber motiviert werden, es muss zugehört werden, deren Anliegen müssen weitergetragen und beantwortet werden. Viele dieser Anliegen sehen auf den ersten Blick wie Kleinigkeiten aus, die aber immens wichtig für die Mitarbeitenden sind. Wenn dich jemand fragt „Kann ich heute Nachmittag von zu Hause aus arbeiten?“, musst du das als junge Führungskraft erst einmal sorgfältig abwägen. Was bedeutet es für das restliche Team, wenn ich es erlaube? Dann muss ich es gerechterweise allen erlauben. Aber dann ist das halbe Büro leer, und ich bekomme von der Firmenleitung eins auf den Deckel. Viele junge Führungskräfte verstehen dann das erste Mal, warum frühere Vorgesetzte sich immer so sperrig angefühlt haben.
Mit Bezug auf ein vorheriges Interview: Sie vertreten die sogenannte A****loch-Theorie, nach der Vorgesetzte ihre Untergebenen zu ebenso A****loch-Verhalten zwingen. Sind Sie wirklich der Meinung, dass sich an diesem „Grundprinzip des Kapitalismus“ nichts ändern wird?
Die A****loch-Theorie geht auf eine Beobachtung von mir in einer Firma zurück, dass Führungskräfte oft nicht alle ihre Informationen mit ihren Mitarbeitenden teilen dürfen, und daher Entscheidungen widersprüchlich erscheinen und die Führungskraft als sprunghaft, voreingenommen und ungerecht erlebt wird. Als A****loch eben. Und ich befürchte, dass sich das in großen Unternehmen auch nie ändern wird. Unsere wirtschaftliche Effizienz beruht auf Arbeitsteilung, die koordiniert werden muss und dadurch entstehen Hierarchien. Es bilden sich Organisationen, die von einigen ausgewählten Individuen geführt werden. Diese sollen die Firma gegen den Wettbewerb behaupten. Wie sie das aber machen wollen, darf der Wettbewerb natürlich nicht erfahren. Da geht es um Entscheidungen wie „wann führen wir welches neue Produkt ein“, „kaufen wir Wettbewerber XY“ oder „verkaufen wir unsere Sparte Z“. Diese Informationen können sie nicht mit allen Mitarbeitenden teilen und so entsteht ein Informationsgefälle, das manche Führungskräfte wie A****löcher aussehen lässt.
Dient das Theorem nicht eher als Rechtfertigung für schlechtes Verhalten, das dadurch als akzeptabel empfunden wird und die Verantwortung dafür an eine andere Stelle abschiebt?
Das ist leider ein weiterer, wichtiger Effekt. Ein Wirtschaftsunternehmen ist kein Ponyhof. Dort müssen auch Entscheidungen gegen den Willen der Mitarbeitenden gefällt werden. Und als Rechtfertigung beruft man sich normalerweise auf höhere Instanzen wie zum Beispiel die Firmenleitung. Diese aber muss ausführen, was beispielsweise der Aufsichtsrat vorgibt, und der verhält sich so, weil die Aktionärinnen und Aktionäre ihr Geld vermehrt wollen haben. Diese Aktionäre können auch Fonds sein, in die der einfache Mitarbeitende regelmäßig für seine Altersvorsorge einspart. Und an dieser Stelle schließt sich der Kreis. Global betrachtet sind die wirklich Leidtragenden der große Teil der Menschheit, der diesem System unterworfen ist, aber ohne Besitz zu haben. Aber damit sind wir schon tief in der Kapitalismuskritik.
Wie finde ich als junge Führungskraft meinen eigenen Weg, wie entwickle ich eigene Leadership Prinzipien?
Ich empfehle folgende Frage an sich selbst: Wie will ich eigentlich geführt werden? Dann weiß ich schon mal, wogegen ich besser nicht verstoßen sollte, ohne dass es mir selbst weh täte. Und dann frage ich meine Mitarbeitenden, ganz individuell. Wie willst du geführt werden? Was brauchst du? Was bringt dich auf die Palme? Und der dritte Schritt ist, ein Verhalten daraus zu entwickeln, das möglichst allen gegenüber fair sowie berechenbar ist und für das ich mich als Persönlichkeit nicht verbiegen muss.
Viele Unternehmen werben in ihren Stellenausschreibungen mit „flachen Hierarchien“ – dabei ist das Prinzip einer Führungsrolle die Etablierung einer Hierarchie. Kann man „flach“ wirklich gut „führen“? Wie würden Sie an dieser Herausforderung herantreten?
Ich sehe da gar nicht so den großen Widerspruch, denn unter einer flachen Hierarchie verstehe ich, dass die Führungskraft nah dran ist an ihren Mitarbeitenden. Die Kommunikationswege sind kurz und unkompliziert, und dadurch können Fragen schnell geklärt und Entscheidungen verständlich kommuniziert werden. Das macht es für alle Beteiligten meist einfacher. Problematisch für manche Führungskräfte ist dabei eher die Sandwichposition, in der von unten und von oben Forderungen an sie herangetragen werden, die nicht miteinander vereinbar sind. Von unten beispielsweise „Wir wollen Homeoffice“ und von oben „Alle sollen ins Büro“. Das darf man dann nicht persönlich an sich heranlassen, dass man diesen Konflikt nicht lösen kann. Auch wenn sich normalerweise alle duzen und sich gut verstehen.
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