Guide zum Verhandlungserfolg für MINT-Studierende

Ob Gehaltsfragen oder in Beziehungen: Die Grundlagen für erfolgreiche Verhandlungen sind identisch
Du denkst, Verhandeln ist nur etwas für Verkäufer und Diplomaten? Weit gefehlt. Ob du mit deinem Partner über den nächsten Urlaub diskutierst, mit deinen Eltern über finanzielle Unterstützung verhandelst oder später einmal dein erstes Gehalt aushandelst – du verhandelst ständig. Und vermutlich machst du dabei die gleichen Fehler wie die meisten Menschen.
Das Problem mit dem fixen Kuchen
Die meisten von uns haben eine völlig falsche Vorstellung vom Verhandeln. Wir denken, es gäbe einen festen „Kuchen“, den wir untereinander aufteilen müssen. Wenn der andere mehr bekommt, bleibt für uns weniger übrig. Diese Nullsummen-Denkweise führt dazu, dass wir uns als Gegner betrachten statt als Problemlöser.
Nehmen wir ein typisches Beispiel aus dem Studienalltag: Du und dein Mitbewohner streitet euch um die Nutzung des Gemeinschaftsraums. Er will dort abends lernen, du willst entspannen und Netflix schauen. Die naive Lösung wäre ein Kompromiss – jeder bekommt den Raum die Hälfte der Zeit. Aber vielleicht lernt er lieber morgens, wenn du noch schläfst, und du entspannst dich am liebsten spätabends, wenn er schon müde ist. Plötzlich haben beide mehr vom „Kuchen“, weil ihr ihn vergrößert habt, statt ihn nur aufzuteilen.
Die vier Strategien zum Verhandlungserfolg
Erfolgreiche Verhandlungsführung basiert auf vier Grundstrategien, die du situativ einsetzen kannst. Welche du wählst, hängt davon ab, wie gut deine Beziehung zur anderen Person ist und wie viel Vertrauen zwischen euch herrscht.
Strategie 1: Karten auf den Tisch Wenn du mit Menschen verhandelst, denen du vertraust – etwa deinem Partner oder engen Freunden – funktioniert die direkte Methode am besten. Erkläre offen, was dir wichtig ist und warum. „Mir ist wichtig, dass wir beide Zeit für uns haben, aber ich möchte auch gemeinsame Erlebnisse“ ist ehrlicher und zielführender als taktisches Pokern.
Diese Offenheit funktioniert deshalb, weil sie den anderen dazu einlädt, ebenfalls ehrlich zu sein. Plötzlich redet ihr nicht mehr über Positionen („Ich will das!“), sondern über dahinterliegende Bedürfnisse. Und verschiedene Bedürfnisse lassen sich oft überraschend gut kombinieren.
Strategie 2: Die richtigen Fragen stellen Nicht immer herrscht genug Vertrauen für völlige Offenheit. Dann musst du geschickt nachfragen. Statt „Was willst du eigentlich?“ zu fragen, versuch es mit „Welcher Aspekt ist dir am wichtigsten?“ oder „Wie stellst du dir eine ideale Lösung vor?“. Solche Fragen wirken weniger bedrohlich und liefern dir trotzdem die Informationen, die du brauchst.
Ein Beispiel: Du verhandelst mit deinen Eltern über finanzielle Unterstützung im Studium. Statt direkt nach dem maximalen Betrag zu fragen, könntest du fragen: „Was sind eure größten Sorgen, wenn ihr an meine Studienfinanzierung denkt?“ Vielleicht geht es ihnen weniger um den absoluten Betrag als um Planungssicherheit oder darum, dass du verantwortungsvoll mit Geld umgehst.
Strategie 3: Vorleistung zeigen Menschen haben eine natürliche Tendenz zur Gegenseitigkeit. Wenn du zuerst nützliche Informationen preisgibst, wird dein Gegenüber wahrscheinlich ebenfalls offener. Aber Vorsicht: Verrate nicht sofort deine Schmerzgrenze oder deine schwächste Position.
Klug ist es, Informationen zu teilen, die dem anderen helfen, dir ein attraktives Angebot zu machen. Wenn du etwa mit deinem Professor über eine Abschlussarbeit verhandelst, könntest du sagen: „Mir ist wichtig, dass das Thema praxisrelevant ist, weil ich danach in die Industrie will. Gleichzeitig möchte ich etwas bearbeiten, womit Sie sich gut auskennen, damit ich optimale Betreuung bekomme.“
Strategie 4: Optionen statt Ultimaten Die eleganteste Methode funktioniert auch bei unkooperativen Verhandlungspartnern: Statt ein einzelnes Angebot zu machen, präsentierst du mehrere Alternativen, die für dich gleichwertig sind, aber unterschiedliche Schwerpunkte haben.
Angenommen, du verhandelst mit deinen Eltern über Unterstützung beim Autokauf. Statt zu sagen „Ich brauche 5000 Euro“, könntest du drei Optionen anbieten:
• Option A: 5000 Euro als Zuschuss, du übernimmst alle laufenden Kosten
• Option B: 3000 Euro Zuschuss plus Übernahme der Versicherung für zwei Jahre
• Option C: 2000 Euro Zuschuss plus zinsloses Darlehen über weitere 3000 Euro
Ihre Wahl verrät dir ihre Prioritäten und Sorgen. Wählen sie Option C, ist ihnen Planungssicherheit wichtiger als die absolute Summe. Diese Information kannst du nutzen, um eine noch bessere Lösung zu entwickeln.
Der Verhandlungsablauf: Timing ist alles
Ein häufiger Fehler ist es, Punkt für Punkt zu verhandeln. Du einigst dich auf das Gehalt, dann auf die Arbeitszeit, dann auf den Urlaubsanspruch. Das Problem: Sobald ein Punkt abgehakt ist, verlierst du Flexibilität für kreative Tauschgeschäfte. Besser ist es, alle relevanten Aspekte zu sammeln und zu diskutieren, bevor du dich auf irgendetwas festlegst. Vielleicht ist dir ein höheres Gehalt wichtig, deinem zukünftigen Arbeitgeber aber flexible Arbeitszeiten. Oder dir sind die Urlaubstage egal, aber Weiterbildungsmöglichkeiten sehr wichtig, während für das Unternehmen das Gegenteil gilt. Diese unterschiedlichen Prioritäten sind dein Schlüssel zum Erfolg. Sie ermöglichen es, Lösungen zu finden, die beide Seiten besser stellen, ohne dass jemand Nachteile in Kauf nehmen muss.
Die Vorbereitung: Dein unsichtbarer Vorteil
Bevor du in eine wichtige Verhandlung gehst, investiere Zeit in die Vorbereitung. Das bedeutet nicht, dir Killerargumente zurechtzulegen, sondern systematisch zu durchdenken, was für beide Seiten relevant sein könnte.
Bei einer Gehaltsverhandlung könnten das sein: Grundgehalt, Arbeitszeiten, Homeoffice-Möglichkeiten, Weiterbildungsbudget, Urlaubstage, Startdatum, Projektauswahl, Aufstiegschancen. Überlege dir, was dir davon wichtig ist und schätze ein, was für deinen Verhandlungspartner relevant sein könnte.
Dann gewichte diese Aspekte. Was ist dir sehr wichtig, was weniger? Auf was könntest du verzichten, wenn du dafür in anderen Bereichen mehr bekommst? Diese mentale Vorbereitung gibt dir Flexibilität in der Verhandlung und hilft dir, Chancen zu erkennen, die andere übersehen.
Nach dem Handschlag: Die zweite Chance
Auch wenn ihr euch geeinigt habt, ist noch nicht Schluss. Oft stellt sich nach ein paar Tagen heraus, dass beide Seiten mit dem Ergebnis nicht hundertprozentig zufrieden sind. Das ist deine Chance für ein „Post-Settlement Settlement“ – eine Verbesserung nach der Einigung.
Der Trick ist, dass du die ursprüngliche Vereinbarung nicht in Frage stellst, sondern vorschlägst, gemeinsam zu schauen, ob ihr sie noch optimieren könnt. „Unser Deal steht und ich bin damit zufrieden. Aber vielleicht finden wir ja noch eine Variante, die für uns beide noch besser ist.“
Oft sind Menschen nach einer erfolgreichen Einigung entspannter und offener für weitere Gespräche. Zudem habt ihr jetzt Erfahrung miteinander gemacht und wisst besser, was dem anderen wichtig ist.
Der gefährliche Moment: Wenn Menschen sich in die Ecke gedrängt fühlen
Ein kritischer Punkt, den der ursprüngliche Ansatz der Wertschöpfung implizit berücksichtigt, wird oft übersehen: Menschen, die glauben, keine Optionen mehr zu haben, werden unberechenbar. Wenn dein Verhandlungspartner das Gefühl bekommt, nur noch verlieren zu können, schaltet er in den Verteidigungsmodus – und dann ist produktive Zusammenarbeit praktisch unmöglich.
Das passiert schneller, als du denkst. Stell dir vor, du verhandelst mit deinem Mitbewohner über die Aufteilung der Hausarbeit. Wenn du ihm vorwirfst, faul zu sein, und gleichzeitig forderst, dass er ab sofort mehr macht, fühlt er sich angegriffen und hat das Gefühl, nur noch schlechte Alternativen zu haben: entweder als fauler Mensch dazustehen oder sich deinen Forderungen zu unterwerfen.
Auswege schaffen statt Ultimaten stellen
Hier zeigt sich die Genialität des Mehroptionen-Ansatzes: Indem du verschiedene Lösungswege aufzeigst, gibst du deinem Gegenüber das Gefühl, mitbestimmen zu können. Das ist psychologisch entscheidend. Menschen brauchen das Gefühl von Wahlfreiheit, auch wenn alle Optionen in die gleiche Richtung führen.
Anstatt zu sagen „Du musst mehr putzen“, könntest du drei Wege vorschlagen: „Wir könnten die Aufgaben neu aufteilen, oder du übernimmst dafür andere Sachen wie Einkaufen, oder wir holen uns eine Putzhilfe und teilen die Kosten.“ Plötzlich geht es nicht mehr um Schuld, sondern um Lösungen.
Rettung aus der Sackgasse
Wenn du merkst, dass sich jemand bereits in die Ecke gedrängt fühlt, musst du aktiv Auswege schaffen. Das funktioniert am besten, indem du die Schuldfrage völlig ausblendest und dich auf die Zukunft konzentrierst. „Lass uns mal schauen, wie wir das in Zukunft besser hinbekommen“ ist viel produktiver als „Du hast das falsch gemacht.“
Ein weiterer Trick ist es, dem anderen eine ehrenvolle Rückzugsmöglichkeit zu bieten. Wenn dein Partner sich bei einer Diskussion über Geld zu einer Position versteift hat, die objektiv unvernünftig ist, hilf ihm dabei, das Gesicht zu wahren: „Ich verstehe deinen Punkt total. Vielleicht haben wir beide noch nicht alle Aspekte bedacht. Lass uns das nochmal von vorne durchdenken.“
Das Geheimnis des Langzeiterfolgs
Gute Verhandlungsführung ist keine Einbahnstraße. Es geht nicht darum, den anderen über den Tisch zu ziehen, sondern nachhaltige Lösungen zu finden, mit denen alle leben können. Das gilt besonders für wiederkehrende Verhandlungen – mit Kollegen, in Beziehungen oder mit Geschäftspartnern.
Wer heute unfair verhandelt, wird morgen nicht mehr ernst genommen. Wer hingegen den Ruf hat, kreative Win-Win-Lösungen zu finden, dem hören Menschen zu und mit dem arbeiten sie gerne zusammen.
Die Kunst liegt darin, deinen fairen Anteil am geschaffenen Wert zu beanspruchen, ohne den Wert selbst zu zerstören. Denn am Ende ist es viel einfacher, einen größeren Kuchen zu bekommen, wenn du ihn gemeinsam mit anderen vergrößerst, statt erbittert um die Krümel eines kleinen Kuchens zu kämpfen.