100 Millionen Code-Zeilen. So viel Software steckt in modernen Fahrzeugen – sie sorgt für Sicherheit, Komfort und Fahrassistenzsysteme, vernetzt Fahrzeuge miteinander und weiteren Sensoren et cetera. In Deutschland entwickelt sich dieser Umstand allerdings zu einer saftigen Herausforderung:
Den Großteil der benötigten Software entwickeln OEMs und Tier-1-Zulieferern bisher intern. Einige dieser Unternehmen übernehmen sogar bis zu 90 % der Programmierung und laden sich damit nicht nur das Problem der Zeit auf: Wie lange braucht die Entwicklung? Wie viel Zeit geht im Anschluss für Maintenance und Weiterentwicklung drauf? Aus der Eigenentwicklung entstehen als zweites Problem auch enorme Personalkosten und Personalengpässe, weil Informatiker:innen notorisch gesucht werden. Drittes Problem: Diese Software wird nicht unabhängig von der Hardware weiterverkauft, sodass hier Umsatzpotenzial brach liegt. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Studie des Beratungsunternehmens Roland Berger. Für die Untersuchung wurden 30 Fachleute aus den Bereichen OEM, Tier-1-Zulieferer, Ingenieurdienstleister und Softwareanbieter befragt.
Wie viel wird für Fahrzeugsoftware ausgegeben?
Laut der Studie lagen die Ausgaben der Branche für Software im Jahr 2021 bei 26 Milliarden US-Dollar. 2023 stiegen diese auf 38 Milliarden US-Dollar – ein jährlicher Zuwachs von 14 %. Wenn die aktuelle Vorgehensweise beibehalten wird, prognostizieren die Experten, dass die Ausgaben bis 2030 auf jährlich 59,3 Milliarden Dollar anwachsen könnten. Roland Berger empfiehlt daher, verstärkt auf extern entwickelte Softwarelösungen zu setzen, was 42,7 Milliarden Dollar jährlich kosten würde. Diese Umstellung könnte 2030 zu Einsparungen von 16,6 Milliarden Dollar führen, was mehr als einem Viertel der Kosten entspricht, die bei einer Fortführung der Inhouse-Entwicklung entstehen würden. Die Experten der Roland Berger-Studie heben hervor, dass andere Branchen schon lange nicht differenzierende Software von externen Anbietern beziehen, was in der Automobilindustrie ebenfalls der Fall sein könnte. Ein effizienter Softwaremarkt für die Automobilbranche könnte Innovationen fördern, modularere Lösungen für bessere Kundenerlebnisse bieten und die Kosten senken, so Markus Baum, Partner bei Roland Berger.
Kosten sind nicht isoliert zu betrachten
Nun sind die Kosten nicht der einzige Faktor, der hier eine prägende Rolle spielt: Software aus anderen Häusern sorgt auch immer für eine Abhängigkeit, vor allem, wenn das Haus in Gegenden wie China steht. Geopolitisch wird die Zeit ab 2025 auch noch mal extrem intensiv, sodass „Fahrzeugsoftware“ ein sehr spannendes Thema bleiben wird: Die bisherige US-Regierung plante etwa ein Verbot von Fahrzeugsoftware aus China, weil die Gefahr von Cyberangriffen als zu realistisch und natürlich gefährlich gilt. Nicht zuletzt gerieten die dortigen Hersteller wegen ihrer Over-The-Air-Updates in Kritik. Dabei wurden Updates ohne Einwilligung der Fahrzeugbesitzer eingespielt, die sich direkt auf das Batteriemanagement und den Ladeprozess auswirkten – nachdem die Nutzer auf eine Neujahrsbotschaft geklickt hatten.
Jedoch gibt es auf dem Weg zu einem funktionierenden Markt für Automobilsoftware noch einige technische und wirtschaftliche Herausforderungen. In der Befragung gaben rund 68 % der Teilnehmer an, dass es an einer klaren Handelsstrategie und dem Zugang zu Kunden fehlt, um Software als eigenständiges Produkt erfolgreich zu vertreiben. Etwa 17 % nannten unzureichende Organisationsstrukturen als Hindernis, und 16 % gaben an, dass Software aktuell noch nicht als separates Produkt entwickelt wird. Führende Softwareunternehmen der Automobilindustrie möchten nun den Fortschritt beschleunigen, indem sie cloud-native Entwicklung, Open-Source-Technologien und branchenweite Standards vorantreiben. Das allerdings reicht bei Weitem nicht. Die Herausforderung für 2025 und nachfolgende Jahre ist klar: Die Entwicklung muss deutlich schneller gehen, Sicherheit steht an erster Stelle und Interoperabilität ist ein entscheidender Erfolgsfaktor.
Übernimmt Europa eine Vorreiterrolle?
Im März 2021 wurde das europaweite Partnernetzwerk Catena-X ins Leben gerufen, um die Zusammenarbeit innerhalb der Automobilbranche zu revolutionieren. Catena-X ist als offenes und erweiterbares Netzwerk konzipiert, das eine Vielzahl von Akteuren zusammenbringt, darunter Automobilhersteller und -zulieferer, Händlerverbände sowie Anbieter von Plattformen, Anwendungen und Infrastrukturlösungen. Zu den über 190 Mitgliedern des Netzwerks gehören namhafte Unternehmen wie BMW, Mercedes-Benz, Volkswagen, ZF Friedrichshafen, Bosch sowie führende Technologieunternehmen wie SAP, Microsoft und T-Systems. Das Netzwerk umfasst auch zahlreiche kleine und mittelständische Unternehmen (KMU), die durch ihre Innovationskraft und Flexibilität ihren Beitrag leisten. Die Mischung der Unternehmen zeigt, dass die Automobilindustrie sich nicht abschotten kann – und es auch nicht möchte.
Ein besonderes Merkmal von Catena-X ist die Gründung des Joint Ventures Cofinity-X im Januar 2023, das als zentrale Betriebsplattform für die verschiedenen Dienste von Catena-X fungiert. Dieses Joint Venture stellt die digitale Infrastruktur bereit, entwickelt sie weiter und sorgt dafür, dass das Netzwerk effizient betrieben wird. So sollen Kosten reduziert werden, Produktionsabläufe verbessert und neue Technologien schneller integriert werden.
Quelle 3: https://catena-x.net/de/