Es gibt viele Gründe, weswegen Ewige Chemikalien (PFAS) in der Kritik stehen. Jeder einzelne ist auch Motivation, um an der Situation etwas zu verändern – findet Juniorprofessor Dr. Alex Plajer für Makromolekulare Chemie von der Universität Bayreuth. Zusammen mit anderen Wissenschaftler:innen forscht er an fluorhaltigen Polymeren, die sich bis zu 20-mal schneller abbauen lassen, chemisches Recycling und damit nachhaltige Kunststoffe ermöglichen.
Prof. Plajer, der Begriff der ewigen Chemikalien taucht zuletzt immer wieder auf und ist negativ konnotiert. Was sind die wesentlichen Probleme, die diese mit sich bringen?
Die aktuelle Situation ist einfach die folgende: Ewige Chemikalien sind in vielen industriellen Prozessen und gesellschaftlichen Anwendungen schlicht noch unersetzlich. Die Natur kennt aber keine Wege, diese abzubauen, und dementsprechend reichern sie sich dort unkontrolliert an und werden sogar schon bei Neugeborenen nachgewiesen.
Wir wissen nicht, welche Konsequenzen es hat, wenn Fluor über lange Zeit im menschlichen Körper verbleibt. Bei diesem Gefährdungspotenzial vorsichtig zu sein, ist sicherlich vernünftig. Zumal wir sonst unkontrolliert Chemikalien in die Natur entlassen, bei denen zu erwarten ist, dass sie sich nicht abbauen. In anderen Worten: Fluor geht höchstwahrscheinlich nicht in natürliche Stoffkreisläufe ein. Die daraus entstehenden Probleme sind uns teilweise noch nicht einmal bekannt.
Konkret geht es in Ihrer Forschung um fluorhaltige Kunststoffe, wie sie beispielsweise in Bratpfannen vorkommen. Bitte beschreiben Sie kurz Ihre Innovation.
Was man nicht außer Acht lassen sollte: Fluor wird in Minen abgebaut (Anm. d. R.: Die größten Vorkommen sind in Mexiko, China, Südafrika, Spanien und Russland zu finden. Die Abbaubedingungen sind ebenfalls Teil des Problems.) und ist dementsprechend eine endliche Ressource. Weil das Fluor durch die geringe Abbaubarkeit der fluorhaltigen PFAS nicht in die Stoffkreisläufe der Natur eintritt und automatisch wieder zur Verfügung steht, sind wissenschaftliche Innovationen gefragt, damit uns nicht eines Tages der Rohstoff „Fluor“ ausgeht.
Die zentrale Neuheit unseres Projekts ist die Idee, bereits verwendetes Fluor aus Kunststoffen wiederzugewinnen. Mechanisches Recycling von Fluorkunststoffen existiert genau genommen nur bedingt und chemische Art überhaupt nicht. Grundsätzlich ist mechanischen Recycling problematisch da es sich wegen unreinen Materialströmen oft nur um Downcycling handelt. Beim chemischen Recycling ginge es darum, die Kunststoffe in andere Chemikalien umzuwandeln und so vollständig nutzungsfähig zurückzugewinnen, sodass eben kein Downcycling entsteht.
Gebrauchsfähig wofür?
Um als nützliches Ausgangsmaterial in den Prozessen der chemischen Industrie wieder Anwendung zu finden, ganz genauso wie frisch gewonnenes Fluor also. Leider sind wir noch nicht so weit, dass bereits in den nächsten Monaten auf chemisches Recycling umstellen könnten: Die Materialeigenschaften unseres fluorhaltigen Polymers sind noch nicht so gut, dass wir beispielsweise Teflon oder Nafion (Anm. d. R.: „Nafion“ ist ein Ionomer, das in den 60ern entwickelt wurden und ein eingetragenes Warenzeichen des Unternehmens DuPont. Mehr auf nafion.de) ersetzen könnten. Die Stärke ist die Idee, mit Fluor bewusst umzugehen, denn es gibt Anwendungen für fluorhaltige Polymere, beispielsweise in der Medizin, da kann man sie aktuell einfach nicht ersetzen. Es ist richtig und wichtig, dass ewige Chemikalien in der Kritik stehen. Um sie zu ersetzen, ist allerdings noch extrem viel Arbeit nötig.
Wie steht die Industrie zu Ihrer Idee?
Das chemische Recycling hat echt Potenzial, denn zum einen bekommen wir Chemikalien zurück, die genau so wiederverwendbar sind. Zum anderen, und das ist ganz wichtig für die Chemieindustrie, braucht es dafür keine Prozessanpassung. Heißt, die Industrie kann weiterarbeiten wie gewohnt. Wäre chemisches Recycling keine drop-in-Lösung, wäre sie zu teuer für die Industrie, die jetzt schon mit vielen, teils tiefgreifenden, Regulierungen arbeiten muss. Je mehr Regulierung es gibt, desto stärker ist die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen bedroht. Sonst wandert deren Produktion nach China, was auch niemand von uns möchte.
Hintergründe
Zur Studie: Die Ergebnisse der Studie entstanden in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) und der Freien Universität Berlin. Das Forschungsprojekt ist Teil des Sonderforschungsbereichs (SFB) 1349 „Fluor-Spezifische Wechselwirkungen“, der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird.
Polymerstandort Bayreuth: Traditionell ein Fachgebiet der Chemie, wurde bereits in den 70er Jahren am Standort der Universität Bayreuth ein Forschungsbereich für Kunststoff- und Kolloidforschung aufgebaut. Mit dem Erfolgszug der Polymere in unserem Alltag, von Bratpfannen bis Zahnseide, stieg auch der Umfang der Forschung, sodass ein Exzellenzstandort entstand. Mehr Infos zum Polymerstandort Bayreuth findest du hier.
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