Wer mit einem druckfrischen Abschlusszeugnis die Hochschule verlässt, ist in der Regel hoch motiviert – endlich geht es ans Eingemachte. Doch wie behält man diese langfristige Motivation? Welche Faktoren beeinflussen deine Leistungsbereitschaft? Wir fragten bei Dr. Sanaz von Elsner, Business und Karriere Coach, genauer nach.
Die Krux der Leistungsgesellschaft
Frau Dr. von Elsner, eines ist klar: Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Es ist aber gerade in der Arbeitswelt ein gewisser Wandel hin zu Work-Life-Balance spürbar. Baut sich hier ein Konflikt auf?
Das hoffe ich! Dieser Diskurs ist längst überfällig. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir auf einem gewissen Level immer noch Steinzeitmenschen sind und sehr feste Gewohnheiten haben. Im Endeffekt haben wir noch nie so gelebt, die es die Leistungsgesellschaft von uns verlangt. Für Menschen gibt es vier völlig unterschiedliche Biorhythmen, die dafür gesorgt haben, dass wir gut zueinander gepasst haben und Gruppen oder Familien gebildet haben. Quasi Work-Life-Integration auf die simpelste Art. Nach der Industrialisierung hat sich das geändert und wir sind in ein festes System gewechselt, das gut zu Maschinen, aber nicht Menschen gepasst hat. Weiter Sprung in die Zukunft: Selbst die Generation X war noch die „Generation Praktikum“, eigentlich immer unbezahlt und stetig hoffend, doch noch eingestellt zu werden, um dort dann 70-Stunden-Wochen zu arbeiten. Mit dem Fachkräftemangel rückt das Menschliche wieder in den Vordergrund und das ist richtig so. Die mit Arbeit verbrachte Zeit entscheidet nicht darüber, wie produktiv, effizient und effektiv ich arbeite.
Vorurteil: Ohne Stress lernt man nicht
Manche Absolvent:innen starten dennoch direkt in einen dieser sehr stressigen Jobs, um sich eine Art Ritterschlag der Leistungsfähigkeit zu verdienen. Wie sinnvoll ist so eine Planung?
Wie so oft im Leben: Es kommt darauf an – das muss jede:r für sich selbst entscheiden. Zu den Fragen, die man sich dafür beantworten sollte, gehört: Wie definiere ich meinen Zweck auf dieser Erde? Was will ich mit meinem Handeln erreichen? Will ich einfach einen Job, der die Grundbedürfnisse des Lebens finanziert? Das muss jede:r für sich selbst klären. Manche wollen eine Top-Wohnung kaufen, manche legen höheren Wert auf Familie. Wer purpose-driven arbeitet, kann auch ein eigenes Unternehmen gründen oder für ein Unternehmen arbeiten, das man aus tiefstem Herzen unterstützt. Wie man sich auch entscheidet: Jede:r kann sich selbst als ein Glas Wasser vorstellen, das die eigenen Ressourcen symbolisiert. Diese Gesamtmenge ist begrenzt und man muss aufteilen, wie viel man wofür einsetzen will. Wenn man allerdings alles für die Arbeit hergibt, ist das nach einiger Zeit schlichtweg gesundheitsschädlich. Es muss in einem gesunden Verhältnis stehen mit der eigenen Selbstfürsorge.
Ohne Leistungsbereitschaft geht es nicht
Unabhängig davon, welcher Arbeit man nachgeht, eine gewisse Leistungsbereitschaft wird immer gefordert sein.
Das ist auf jeden Fall so. Was sich im Sinne der Leistungsbereitschaft ändern wird, ist, dass der Jobwechsel häufiger, wird. Auch insofern, als dass fachlich gewechselt wird – natürlich gehört auch seitens der Unternehmen dazu, dass sie diese Quereinstiege willkommen heißen. Trotzdem sind es 30 bis 40 Jahre, die man mit diesen Aufgaben verbringt! In Sachen Motivation helfen extrinsische Faktoren durchaus, aber immer nur für eine vergleichsweise kurze Zeit. Intrinsische Motivation hilft nachhaltiger, die eigene Leistung oben zu halten.
Insgesamt gibt es aber einen Dreiklang: Der persönliche Raum wie Familie, Freunde und Hobbys, den Funktionsbereich mit dem Job und der Professionsbereich mit Weiterbildung oder weiterer Bildung. Aus diesem Dreiklang bezieht man seine Motivation und sollte entsprechend darauf achten, sie auszubalancieren. Es gibt Momente, in denen man mehr in den Job investiert, und die Momente, in denen man sich eher auf das Private konzentriert. Überall immer ‚volle Kraft voraus‘ geht nicht. So hält man seine Motivation hoch.
Weitere Faktoren sind Teammitglieder oder Vorgesetzte.
Beide können die Motivation natürlich stark beeinflussen, beispielsweise Vorgesetzte, die durch Micromanaging den Spaß an der Arbeit und die Kreativität reduzieren oder sogar eliminieren. Schlechte Arbeitsatmosphäre, etwa wenn es keine Freiräume für die Entwicklung gibt, kann sich ebenso negativ auswirken. Die heutige junge Generation kann hier viel bewegen, denn der erste Schritt ist, den Missstand anzusprechen. Unternehmen können etwa das Onboarding relativ leicht verbessern oder ein Mentorenprogramm aufsetzen. Wenn die Lage schlecht ist, ist Kommunikation umso wichtiger und man sollte nicht warten, bis man nicht mehr kann und das Handtuch werfen muss.
Welche Ratschläge würden Sie gerne unseren Leser:innen mitgeben, wenn nach 2 Jahren Studium unter Corona-Bedingungen die Motivation zu wünschen lässt?
Grundsätzlich: Immer professionelle Hilfe suchen. Mental Health (oder mentale Gesundheit) ist hierzulande immer noch mit Scham besetzt, was völlig unnötig ist. Es ist kein Makel, wenn man mit einem Therapeuten spricht und die eigenen Gedanken in Kontext gesetzt bekommt. Gerade Belastung wird von jede:r anders empfunden. Sich mit seinen Freunden zu vergleichen, ist gerade hier also nicht besonders hilfreich.
Mehr zur Arbeit von Dr. Sanaz von Elsner findest du auf ihrer Website oder auf https://www.linkedin.com/in/dr-sanaz-von-elsner/