Virtuelle und erweiterte Realitäten sind nicht brandneu – bieten allerdings ein Potenzial, dessen Ausmaß erst nach und nach konkretere Züge annimmt. RE’FLEKT baut Augmented und Virtual Reality-Plattformen, die die Arbeitsweise, -sicherheit und -effizienz in Industrie-Unternehmen revolutionieren können. Im Interview mit hitech-campus.de erklärt der Gründer Wolfgang Stelzle, was Augmented Reality künftig alles leisten wird und wie der Weg dorthin aussieht.
Herr Stelzle, worauf basieren Ihre eigenen Augmented Reality-Erfahrungen?
Als Gründer und CEO der RE’FLEKT bin ich in der Firma verantwortlich für die Produktentwicklung; das heißt, ich verantworte alle Teams rund um Software-Entwicklung, User-Experience, Projekt- und Produktmanagement. Meine tägliche Arbeit besteht darin, die Produktstrategie maßgeblich zu definieren, auszuarbeiten und mich um Partnerschaften zu kümmern, die für unsere Produktstrategie und für das operative Geschäft wichtig sind – etwa auf Technologieebene, im Software- und Hardware-Bereich, aber auch in Richtung Business Development, um am Markt wahrgenommen zu werden. RE‘FLEKT beschäftigt sich mit Augmented Reality (AR) für Industrie-Unternehmen, wir arbeiten für große Konzerne wie Bosch, BMW, Daimler, VW oder E.ON. Wir bieten Lösungen beziehungsweise eine Plattform an, die es ermöglicht, Augmented Reality-Technologien skalierbar einzusetzen. Denn damit können zum Beispiel Service-Techniker effizienter arbeiten, sie machen weniger Fehler und haben Wissen im Prinzip jederzeit dort verfügbar, wo sie es gerade brauchen.
In welchen Ecken des Alltags kann der Endkonsument Augmented Reality bereits heute finden?
Viele übersehen, wo die Technologie im Grunde schon seit zehn Jahren Anwendung findet, nämlich im Fernsehen: Die Abseitslinie im Fußball ist eine Form von Augmented Reality im Alltag, jedoch ist der Begriff dabei nie gefallen. Head-up-Displays in Autos, über die dann das Navigationssystem oder der Weg eingeblendet wird, zählen auch dazu. Und daneben natürlich noch Spiele wie Pokémon Go im Bereich „Gaming“.
Im B2B-Bereich, in dem wir arbeiten, finden sich Einsatzgebiete über die ganze Wertschöpfungskette hinweg: vom Design bis hin zum After Sales und im Service- und Maintenance-Bereich. Sie kennen vielleicht die Rettungskarten, die Feuerwehrmänner bekommen, um im Falle eines Unfalls das Fahrzeug an den richtigen Stellen zu schneiden. Daimler setzt die „Rescue Assist“-App ein, um Ersthelfern wie der Feuerwehr oder dem THW anzuzeigen, wo sie ansetzen können, um Fahrzeuginsassen aus dem Auto zu schneiden. Das wurde global in 27 Sprachen für alle Mercedes-Fahrzeuge seit 1990 ausgerollt.
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Sind Ihre Apps denn für jedermann öffentlich verfügbar?
Die meisten unserer Apps sind leider nicht öffentlich verfügbar. Deshalb ist es schwer zu transportieren, wie und warum etwas funktioniert und was wir mit unseren Applikationen bezwecken oder ermöglichen. Wir haben eigens eine Demo-App entwickelt, die am einfachen Beispiel der Reparatur einer Kaffeemaschine zeigt, was unsere Plattformen leisten und wie man sich den industriellen Einsatz von Augmented Reality vorstellen kann. Diese App kann sich jeder kostenlos downloaden im Apple Store und Play Store.
Wie gut werden solche Technologien heute oder künftig angenommen (werden)?
Im Unternehmensbereich wird immer die Frage nach dem ROI (Return On Investment) gestellt. Sobald Sie bestimmte Kosten um den Faktor X reduzieren und das Unternehmen dadurch finanziell einspart oder der Umsatz gesteigert wird, stehen die Chancen gut, dass die Technologie von Tag 1 an genutzt wird und dann auch breit im Unternehmen ausgerollt wird. Aufgrund ihrer Vorteile – schnelleres, effizienteres Arbeiten, geringere Fehler-Wahrscheinlichkeit, et cetera – wird AR also zunehmend eingesetzt werden.
Worin liegen derzeit, im Unternehmens- wie im Consumer-Bereich, die Herausforderungen und Hürden, die es dahingehend noch zu bewältigen gilt – etwa technologisch?
Es geht zunächst einmal darum, die relevanten Use Cases, also Anwendungsfälle, zu identifizieren. Apple hat zum Beispiel die Technologie „ARKit“ veröffentlicht, Google zog einige Wochen später mit AR-Core nach. Die Technologie ist jetzt für alle neueren iOS- und Android-Geräte verfügbar. Hier werden derzeit viele Versuche gemacht, was funktioniert und was nicht. Was momentan gut geht, sind Spiele, in denen Objekte oder Tiere in den realen Raum projiziert werden, die dann vornehmlich von der jüngeren Generation im Alltag genutzt werden zur Interaktion.
Das Gleiche ist aber auch im B2B-Bereich der Fall. Die Unternehmen müssen zunächst auch hier Use Cases identifizieren. Idealerweise fangen sie dabei natürlich mit den Problemen an: zu hohe Kosten, zu geringe Umsatzsteigerung. Man muss überlegen, an welchen Stellen es Sinn macht – die Anwendungsmöglichkeiten sind dann vielfältig. In technologischer Hinsicht geht es zum Beispiel darum, dass reale Objekte in der Welt erkannt werden: das sogenannte Tracking. Die Objekte müssen identifiziert und mit zusätzlichen Informationen angereichert werden. Es erfordert noch viel Arbeit, hierbei wirklich skalierbare Lösungen umzusetzen.
Ebenso im Hardware-Bereich: Die aktuell schon im Markt verfügbaren Smart Glasses und auch die kommenden haben alle mit dem Herausforderungen der Batterielaufzeit, des Sichtfelds, des Tragekomforts, der Displayqualität und der Performance umzugehen, damit die Devices auch wirklich in einen breiten Markt diffundieren können.
Wo sind die Grenzen beim Einsatz von AR? Was wird AR nicht leisten können?
Grundsätzlich sind meiner Meinung nach überhaupt keine Grenzen gesetzt, es ist nur eine Frage der Zeit. Alles, was visualisiert werden kann, ist denkbar. Grenzen kommen dann vermutlich aus anderen Bereichen: Welche Daten sollen dargestellt werden? Wie kann der Mensch tatsächlich auch mit den Computern interagieren und AR nutzen? Für die AR-Technologie allein betrachtet gibt es Grenzen nur hinsichtlich der Vorstellungskraft der Visualisierung.
Welche Trends gibt es im Bereich AR für Unternehmen?
Immer relevanter wird Augmented Reality in den Bereichen Training, Instandhaltung und Service sowie Vertrieb/Marketing. Training findet in der Regel in einer geschlossenen, kontrollierten Umgebung statt. Die Auszubildenden können die Augmented Reality-Technologie spezifisch einsetzen, um mit den realen Objekten so zu interagieren, dass das Wissen einerseits besser gelehrt wird, andererseits auch länger in Erinnerung bleibt. Das ist quasi in allen Industrien (Automobil, Medizin, Energiesektor, et cetera) relevant.
Wie verändern sich dahingehend die Anforderungen an künftige Absolventen, etwa Informatiker?
Im Vergleich zum traditionellen Software-Entwickler muss ein AR-Ingenieur verstehen, wie der Real-Raum und wie der virtuelle 3D-Raum funktioniert. Er muss beide gedanklich übereinander bringen können, sowohl mathematisch als auch in allen visuell-strategischen Zusammenhängen. Es gibt Studiengänge, die genau das schon lehren und entsprechend für AR zukünftig ausbilden, wie Computer-Visualistik. Viele unserer Mitarbeiter kommen auch aus dem Bereich Games Design, dort wird oft der 3D-Raum gelehrt, der Umgang mit der 3D-Engine sowie die nötigen Programmierfertigkeiten, um eine 3D-Umgebung in der Software aufsetzen zu können.
Wolfgang Stelzle ist Gründer und CEO von RE’FLEKT. Nach dem Studium der Sportwissenschaften an der Universität Stuttgart arbeitete er zunächst als Produktmanager und Brandcoach bei Adidas, bevor er als Projektmanager bei einer Kreativagentur tätig war und 2012 schließlich RE’FLEKT aus der Taufe hob.
Edit: RE’FLEKT wurde mittlerweile von PTC aufgekauft.
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