Es gibt eine neue Initiative: „Die Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie“. Mit ihr sollen weniger Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten enthalten sein. Politisch initiiert, fällt die Umsetzung dieser Ziele unter anderem in die Zuständigkeit der Lebensmitteltechnologen. Prof. Müller von der SRH Fernhochschule – The Mobile University erklärt, als wie wertvoll sie diese Initiative einschätzt und was die Zukunft für den Bereich Lebensmitteltechnologie bringen wird.
Prof. Müller, was fasziniert Sie persönlich am Fachbereich Lebensmittelmanagement?
Mich persönlich hat das Thema Lebensmittel und Ernährung schon immer interessiert. Jeder Mensch ist auf Nahrung angewiesen, um zu überleben. Gleichzeitig können wir über die Ernährung enormen Einfluss auf unser Befinden nehmen. Wenn man sich die Ernährungssituation in den westlichen Industrieländern ansieht, ist das einfach ein äußerst wichtiges Thema. Die Technologie – wie werden Lebensmittel hergestellt und wie kann man die Eigenschaften der Lebensmittel steuern – ist ein grundlegender Faktor in der ganzen Diskussion. Um wirklich etwas zu bewirken, muss man aber die gesamten Zusammenhänge betrachten, man sollte sich also auch mit wirtschaftswissenschaftlichen Fragen befassen.
Am Ende der Arbeit steht bei Lebensmitteltechnologen ein Produkt. Da es bei Produkten immer um deren Absatz geht: Wie schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass sich Unternehmen zur Selbstverpflichtung der „Nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie“ bekennen? Was halten Sie von Initiativen wie dieser?
Dass ein Großteil der Bevölkerung zu viel Zucker, Fett und Salz verzehrt, ist seit vielen Jahren bekannt. Übergewicht und Adipositas beziehungsweise damit verbundene Erkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 2 und Herz-Kreislauferkrankungen nehmen nach wie vor zu und beeinträchtigen nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen, sondern verursachen auch enorme Kosten im Gesundheitssystem. Es ist meiner Meinung nach deshalb allerhöchste Zeit, dass auf politischer Ebene verstärkt Anstrengungen unternommen werden, um der aktuellen Entwicklung entgegenzuwirken. Ich gehe davon aus, dass reformulierte, gesündere Fertigprodukte von vielen Verbrauchern gut angenommen werden würden. Das zeigt auch das Abstimmungsergebnis zum Zuckergehalt eines Discountermüslis: 61 Prozent der Kunden haben sich für das Müsli mit 30 Prozent weniger Zucker entschieden. Unternehmen nehmen solche Trends natürlich wahr und reagieren auf die Wünsche ihrer Kunden. Für Lebensmittelhersteller macht es also durchaus Sinn, der Nationalen Reduktion- und Innovationsstrategie zu folgen.
Auf die Frage, was ich von der Initiative halte, kann ich nur sagen, dass es in meinen Augen ein Schritt in die richtige Richtung ist. Wichtig ist, dass das Ziel, gesündere Lebensmittel auf den Markt zu bringen, konsequent weiterverfolgt wird und nicht nur die Reduktion eines Inhaltstoffs, sondern die gesamte Zusammensetzung des Lebensmittels im Fokus steht.
Die Zuckerreduzierung in Lebensmitteln ist in erster Instanz begrüßenswert, aber dient in der Öffentlichkeit gerne als moralisches Aushängeschild. Dabei stehen dahinter ausschließlich wirtschaftliche Interessen. Welchen Einfluss haben Lebensmitteltechnologen/-techniker auf gesündere Rezepturen?
Wenn bestehende Rezepturen überarbeitet oder neue Produkte kreiert werden, muss der Produktentwickler verschiedene Anforderungen berücksichtigen. Zum einen muss das neue Produkt den lebensmittelrechtlichen Vorschriften genügen, auch die Verbrauchererwartungen müssen erfüllt werden. Letztlich werden aber auch von Herstellungsseite Anforderungen an das neue Produkt gestellt. Beispielsweise können nur Rohstoffe eingesetzt werden, die gut verfügbar sind – natürlich spielt hier auch der Preis eine Rolle. Zudem müssen auch technologische Aspekte berücksichtigt werden. In manchen Produkten ist der enthaltene Zucker oder das Salz beispielsweise für die Haltbarkeit wichtig – denken Sie an Konfitüre oder Salzheringe – oder hat andere technologische Funktionen. Man kann solche Inhaltsstoffe also nicht einfach unbegrenzt reduzieren. Hier ist also noch einiges an Forschungsarbeit notwendig. Die Forschung und Innovation zu fördern, ist übrigens auch eines der Handlungsfelder der Nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie.
Zucker und Fett zu reduzieren, ist eine Seite der Medaille. Die Ersatzstoffe sind eine andere, denn diese sind nicht zwangsläufig eine gesündere Alternative.
Da stimme ich Ihnen zu. Natürlich kann der Technologe nach alternativen Inhaltsstoffen oder auch innovativen Herstellungsverfahren suchen. Ganz so einfach ist das jedoch nicht, schließlich möchte man eine echte Verbesserung und es macht natürlich wenig Sinn, Ersatzstoffe einzusetzen, die zu keiner Verbesserung der Situation führen, zum Beispiel weil sie einen nicht zu vernachlässigenden Energiegehalt besitzen oder auch weil sie andere unerwünschte ernährungsphysiologische Eigenschaften mit sich bringen. Wie bereits zuvor erwähnt, halte ich es deshalb für essenziell, dass immer die Qualität des gesamten Lebensmittels betrachtet wird. Nur weil ein Lebensmittel weniger Zucker oder Fett enthält, ist es noch lange nicht gesünder.
Die Lebensmitteltechnik hat bisweilen den Ruf, natürliches Essen zu „verfälschen“ – beispielsweise Brot dunkler zu färben, um vermeintlich gesunde Assoziationen zu wecken. Wie würden Sie diesem (Vor-)Urteil begegnen?
Der Verbraucher hat sich daran gewöhnt, dass Lebensmittel immer und überall verfügbar sind. Dabei erwarten wir ein optimales Produkt, das seine Qualität mindestens bis zum Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums behält. Weicht das Produkt beispielsweise farblich vom gewohnten Standard ab oder entmischt sich das Produkt in der Verpackung, während es zu Hause im Schrank steht, wird das meist als Mangel angesehen und das Lebensmittel wird deswegen sogar häufig entsorgt. Um Produkte anbieten zu können, die den Anforderungen der Verbraucher und natürlich auch der Hersteller gerecht werden, werden unter anderem auch Zusatzstoffe eingesetzt. Als eine “Verfälschung“ würde ich dies nicht bezeichnen. Letztendlich gibt es hier auch klare gesetzliche Regelungen. Beispielsweise dürfen nur für das Lebensmittel zugelassene Zusatzstoffe verwendet werden, die den Verbraucher zum Beispiel hinsichtlich der Frische und der Qualität des Lebensmittels nicht irreführen.
Welche Rolle spielt die Ethik ganz grundsätzlich im Bereich der Lebensmitteltechnologie?
Ethisches Handeln spielt in der Lebensmittelwirtschaft ganz allgemein eine große Rolle. Ich denke, die Lebensmittelhersteller sind sich sehr darüber bewusst, dass sie eine Verantwortung gegenüber den Verbrauchern, der Umwelt und auch gegenüber ihren Mitarbeitern haben. Nachhaltigkeit ist beispielsweise nach wie vor ein großes Thema in der Branche. Auch die Selbstverpflichtung zur Nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie spiegelt meiner Meinung nach die Einstellung und das Umdenken der Lebensmittelbranche wider.
Wird die Digitalisierung den Beruf angreifen? Kluge – im Sinne von gut verkauf- und günstig herstellbare – Rezepturen könnten auch über KI entwickelt werden.
Ich sehe die Digitalisierung nicht als Angriff, sondern eher als Chance. Die Herausforderung für viele Lebensmittelhersteller wird sein, flexibel auf die sich verändernden Ausgangsbedingungen zu reagieren, um auch zukünftig gegenüber Mitbewerbern konkurrenzfähig zu bleiben. Mit der zunehmenden Digitalisierung werden sich die Dinge branchenübergreifend verändern. Dass die Technik den menschlichen Verstand und vor allem unsere Kreativität vollständig ersetzen kann, glaube ich persönlich nicht.
Welche Tipps können Sie den Studierenden mit auf den Weg geben?
Ich denke, Absolventen des Studiengangs Lebensmittelmanagement und -technologie mit dem Schwerpunkt gesunde Ernährung stehen viele Möglichkeiten offen. Typische Betätigungsfelder sind das Produktmanagement, die Produktentwicklung oder das Qualitätsmanagement. Durch die Kombination aus betriebswirtschaftlichen, naturwissenschaftlich-technologischen und produktionsbezogenen Inhalten werden die Studierenden optimal auf Positionen an der Schnittstelle zwischen Management und Produktion vorbereitet. Aber auch der Ernährungsbereich bietet natürlich interessante Betätigungsfelder. Ich empfehle den Studierenden, sich frühzeitig auf den Bereich zu fokussieren, in dem sie später gerne arbeiten möchten. Sie können dann gezielt in diesem Bereich praktische Erfahrungen sammeln, beispielsweise durch Praktika oder die Bearbeitung eines entsprechenden Themas in Praxis- und Abschlussarbeit.
1999 – 2005 Studium der Ökotrophologie an der Technischen Universität München
2005 – 2007 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Universität München, Zentralinstitut für Ernährungs- und Lebensmittelforschung (ZIEL)
2008 Promotion an der Technischen Universität München, Lehrstuhl für Lebensmittelchemie und Molekulare Sensorik
2008 – 2015 Leiterin Forschung & Entwicklung, Qualitätssicherung bei der QSE GmbH
seit 2015 Professorin für Lebensmittelmanagement und -technologie an der SRH Fernhochschule – The Mobile University