Die Beratungsbranche hat sich in den letzten Jahren zu einem der attraktivsten Arbeitgeber für High Potentials entwickelt. Nach der EY-Studentenstudie von 2018 ist sie sogar die meist genannte Wunschbranche der BWL-Hochschulabsolventen. Nahezu jeder zweite von ihnen sieht in der Unternehmensberatung den idealen Karriereeinstieg. Da im Rahmen der Digitalisierung aber Consultingprojekte mit technischem Fokus zahlreicher werden, finden auch Informatiker, Mathematiker, Ingenieure und NaWis, also MINT-Absolventen in der Beratung ein berufliches Zuhause.
Eine abwechslungsreiche, herausfordernde Tätigkeit, gutes Arbeitsklima, selbstständiges Arbeiten, hervorragende Weiterbildungsmöglichkeiten und gute Bezahlung werden mit dem Berufsbild des Beraters in Verbindung gebracht.
Den offensichtlichen Vorzügen dieser Profession stehen außerordentlich hohe Anforderungen an Mobilität und Flexibilität als Nachteil gegenüber. Besonders im Fokus steht dabei eine Work-Life-Balance, die vor allem die weiblichen Berater vor hohe Herausforderungen stellt. Schließlich ist es eine Tatsache, dass nahezu jedes Beratungsprojekt überall angesiedelt ist, nur nicht am eigenen Standort.
Das Image der Consultingbranche aus Frauensicht
Und doch ist der Anteil weiblicher Consultants, die von diesen Nachteilen besonders betroffen sind, in den letzten Jahren signifikant gestiegen. War es 2007 nicht einmal jede Fünfte, die im operativen Beratungsgeschäft tätig war, so sind es heute fast 40 Prozent mit weiter steigender Tendenz. Wie ist das zu erklären?
Es ist zwar eine Tatsache, dass Frauen aus familiären Gründen häufiger Abstriche in Bezug auf den eigenen Beruf und die Karriere machen als Männer. Aber besonders die High Potentials unter den weiblichen Arbeitnehmern werden immer wichtiger und damit begehrter für die Unternehmensberatungen. Um Frauen an das Unternehmen zu binden und besser zu integrieren, achten immer mehr Beratungsunternehmen neben einer familienfreundlichen Gestaltung der Arbeitszeiten gezielt auf die Förderung der Karriere von weiblichen Arbeitnehmern.
Darüber hinaus ist es der digitale Wandel, der nicht nur ein aktuelles und zentrales Beratungsthema bei den Kundenunternehmen ist, sondern auch spürbare Auswirkungen auf die Consultingbranche selbst hat. Hier werden die Berater zum Vordenker in eigener Sache, denn jeder Consultant muss sich fragen, ob die klassischen Geschäftsmodelle des „People Business“ noch weiter so funktionieren oder was ein disruptiver Wettbewerber tun würde, wenn er im Beratungsmarkt Zeichen setzen wollte. Mit den kommenden Generationen, die es gewohnt sind, digital und virtuell zu interagieren, wächst die Akzeptanz für digitale und agile Zusammenarbeit besonders auch mit weiblichen Consultants.
MINT-Absolventen in der Beratung
Motor des Wachstums für die Beratungsbranche sind nicht so sehr die klassischen betriebswirtschaftlichen Themen der Strategieberatung, sondern vornehmlich IT-orientierte Themen von Cloud Computing über Big Data/Analytics bis hin zur IT-Sicherheit. Aufbauend auf den Möglichkeiten der zunehmenden Digitalisierung zeichnet sich darüber hinaus ein Trend zum Online-Vertrieb und zu Online-Services ab.
Die zweite wichtige Zielgruppe der rekrutierenden Beratungsunternehmen sind dementsprechend Hochschulabsolventen mit MINT-Hintergrund. Haben sich Beratungsgesellschaften früher besonders stark durch ihr Image, ihre Reputation und das spezifische Wissen und die langjährige Erfahrung einzelner Berater positioniert und versucht, sich dadurch vom Wettbewerb zu differenzieren, relativieren sich diese Kriterien angesichts der besonderen Herausforderungen der Digitalisierung. Als Erfolgsfaktoren für Beratungsprojekte gewinnen digitale Kompetenzen wie „Technologie-Know-how“, „Digitale Beratungsangebote“ und „Softwaretools zur Erkennung von Zusammenhängen“ zunehmend an Bedeutung.
Diesmal sind BeraterInnen gefragt, die erkennen und vor allem wissen, dass durch die neuen technologischen Möglichkeiten disruptive Geschäftsmodelle oder wenigstens doch neue attraktive Anwendungsfelder bei den Kundenunternehmen entstehen. Gefragt ist ein Berater-Typ, der es den Kundenunternehmen ermöglicht, innovative Lösungen, die größtenteils durch die digitale Transformation möglich werden, zu einem angemessenen Preis-Leistungsverhältnis anzubieten und umzusetzen. Gefragt sind also Beratertypen, die im MINT-Bereich groß geworden sind. Insbesondere die großen, internationalen Beratungsgesellschaften haben längst erkannt, dass sich ihr Angebot noch stärker mit Technologie auseinandersetzen muss. Beratungen sind daher gefordert, sich ganz besonders dem Thema „Big Data“ zu öffnen, denn die Kundenunternehmen erwarten von ihren Beratungsdienstleistern den Einsatz modernster Analysetechnologien, um die komplexen Zusammenhänge in ihren Märkten verstehen zu können.
Digitalisierung der Consultingbranche an sich
Die Berater sind also für ihre Kunden das Werkzeug zur Digitalisierung. Somit liegt die Frage nahe, warum das Werkzeug nicht selbst digitalisiert ist. Zwar können wir uns kaum Berater ohne Laptop, Tablet oder Smartphone und schon gar nicht ohne Powerpoint-Präsentation vorstellen, aber dadurch hat sich die Ausführung von Beratungsleistungen bislang nicht grundlegend verändert. Auf dem Weg zur digitalen Beratung müssen letztendlich verschiedene Aspekte unterschieden werden:
Da ist zunächst einmal die Digitalisierung der Beratungsthemen. Hier geht es für die Berater darum, die neuen Technologien (E-Business, Web 2.0, Industrie 4.0, Big Data etc.) für die Kundenunternehmen nutzbar zu machen und damit deren Wachstum und Effizienz zu steigern.
Mit einer Digitalisierung der Beratungsprozesse sollten Berater auch im eigenen Unternehmen für eine durchgängige Unterstützung der Geschäftsprozesse unter Einsatz moderner IT-Technologien sorgen. Viele Prozesse im Consulting könnten heute mit Hilfe von Apps deutlich effizienter und eleganter ablaufen, um wertvolle Beraterzeit einzusparen.
Der nächste Ansatzpunkt ist die Digitalisierung des Beraterwissens. Wissen ist eine der Hauptressourcen von Beratern. Allerdings wird Wissen immer mehr zu einer Commodity. Anbieter wie Amazon, Apple, Facebook, SAP und besonders Google verfügen über exzellente Daten, die früher nur durch aufwändige Forschung gesammelt werden konnten. So kann die Leistungstiefe kann auch bei Beratungen gesenkt werden, denn durch das Entstehen von Beratermarktplätzen und digitalen Consulting-Plattformen eröffnen sich auch für klassische Unternehmensberatungen ganz neue Möglichkeiten.
Die Digitalisierung der Beratungsgeschäftsmodelle reicht vom Modell der Peer2Peer-Beratung über die Arbeitsform des Freelance-Consulting bis hin zur Idee des Crowd-Consulting, bei dem sich Berater zu Netzwerken zusammenschließen. Die Digitalisierung bietet also einerseits viele neue Betätigungsfelder für Consultants, andererseits müssen sich klassische Beratungsunternehmen mit den Folgen der Digitalisierung für die eigene Organisation auseinandersetzen.
Für die Digitalisierung der Beratungsleistungen gibt es verschiedene Ausprägungen. Die Remote-Beratung als internet-basierte Kommunikation ermöglicht eine durchgängige Erreichbarkeit unabhängig von Zeit und Ort. Ein typisches Beispiel ist Videoconferencing. Ein großer Schritt in Richtung digitaler Beratungsdienstleistungen ist die Entwicklung eines eConsulting Store. Hierbei handelt es sich um einen Online-Shop als vollintegrierte Weblösung, die sowohl den Verkauf als auch das Fulfillment (also die Disposition und Abwicklung) digitaler Beratungsdienstleistungen ermöglichen soll.
Unabhängig davon, ob das Digitalisierungs-Know-how nun für den Einsatz beim Kundenunternehmen oder für den Eigenbedarf benötigt wird, der Kampf um die talentierten MINT-Absolventen, die solche Themen in der Beratung exzellent bearbeiten können, ist in vollem Gange.
Mehr Denkanstöße von Prof. Dirk Lippold gibt es auch auf seinem Blog.