Jeder Arbeitstag raubt dir Kraft und jede Diskussion im Team fühlt sich an wie ein persönlicher Angriff? Du könntest in einem toxischen Arbeitsumfeld stecken. Doch wie identifizierst du das korrekt und was kannst du dagegen tun? Ana Gospodinova ist Director Talent Management bei WeAreDevelopers und coacht zudem Frauen und zukünftige Leader:innen im Tech-Bereich. Sie hat uns mehr über Red Flags für Developer:innen erzählt.
Frau Gospodinova, erzählen Sie doch gerne zu Anfang etwas über sich selbst. Wie hat Ihr Werdegang Sie dazu bewegt, dass Sie sich heute mit toxischen Arbeitsumfeldern, besonders für Entwickler:innen, beschäftigen und hierüber Awareness schaffen?
Bei meinem ersten Arbeitgeber im Recruitingbereich wurden wir von einem der inzwischen größten Telekommunikationsunternehmen beauftragt, ihre IT-Abteilung zu besetzen. Damals gab es noch keinen „War for Talents“ und gerade in HR-Abteilungen kaum Kenntnisse darüber, was Tech eigentlich ist. Dabei habe ich festgestellt, wie wichtig ein funktionierendes Arbeitsumfeld für eine gute Beziehung zwischen dem Unternehmen und den Mitarbeitenden ist. Denn nur wenn sich die Mitarbeitenden sicher und inspiriert fühlen, sind sie in der Lage, ihre beste Leistung abzurufen.
Später habe ich diese Erfahrungen dann anderweitig genutzt und mich mit dem Entwickler:innen-Team eines Start-ups zusammengetan, das eine automatisierte Jobplattform für Developer aufbaute. Die Leidenschaft, die Jobsuche für Entwickler:innen zu verbessern und insgesamt „gesünder“ zu gestalten, hat mich dann schließlich zu WeAreDevelopers gebracht.
Was genau ist gemeint, wenn von einem „toxischen Abeitsumfeld“ die Rede ist?
Ein gesundes Arbeitsumfeld zeichnet sich vor allem durch Zusammenarbeit, Wertschätzung, gute Arbeitsbedingungen sowie psychologische Sicherheit und Vertrauen aus. Herrschen stattdessen Misstrauen, permanenter Druck und werden Mitarbeitende mehr negativ als positiv bestärkt, kann man von einem toxischen Umfeld sprechen.
Noch immer sind toxische Verhaltensweisen ein weitverbreitetes Problem am Arbeitsplatz. Insbesondere Rassismus, gefolgt von Mobbing und Ausgrenzung, Machtmissbrauch und Frauenfeindlichkeit. Auffällig ist, dass vor allem die jüngeren Entwickler:innen von Rassismus berichten, während für die über 46-Jährigen vor allem Mobbing und Machtmissbrauch ein heikles Thema sind. Vor allem das Verhältnis zu den Vorgesetzten erweist sich für viele Entwickler:innen als schwierig. Für fast ein Drittel der Befragten ist ein schlechtes Verhältnis zum Vorgesetzten Grund genug, sich nach einer neuen Stelle umzusehen.
Dann ist es ja umso wichtiger, dass der Arbeitgeber ein sicheres Umfeld schafft. Warum sind dann immer noch so viele Developer:innen, besonders Frauen, Opfer von Diskriminierung am Arbeitsplatz?
In unser Studie haben wir bei WeAreDevelopers leider herausgefunden, dass 29 Prozent der befragten Entwickler:innen schon einmal Opfer von Diskriminierung am Arbeitsplatz geworden sind. Leider ist der IT-Sektor immer noch ein stark von Männern dominierter Bereich. Das Problem beginnt in der Kindheit. Während Jungen auf dem Spielplatz ermutigt werden, Risiken einzugehen, werden Mädchen eher vor den Gefahren gewarnt. Infolgedessen wachsen Frauen damit auf, vorsichtig zu sein – vorsichtig, wenn es darum geht, um eine Beförderung zu bitten, ihr eigenes Unternehmen aufzubauen, Meinungen zu teilen.
Besonders interessante Einblicke ergeben sich, wenn man Beförderungen näher betrachtet. Nach den Aufstiegen in den frühen Phasen einer Karriere klafft oft eine bedeutende Lücke. Viele Frauen entscheiden sich im Alter zwischen 30 und 35 Jahren Kinder zu bekommen und sind deswegen im Mutterschaftsurlaub. Bei ihrer Rückkehr in den Beruf sehen sie sich oft vor der Herausforderung, verlorene Zeit aufzuholen. In der Zwischenzeit haben ihre männlichen Kollegen die Positionen bereits besetzt. Diese Situation nehmen Frauen oft hin, weil sie froh sind, mit der Doppelbelastung von Familie und Arbeit einen Arbeitgeber gefunden zu haben, mit dem es scheinbar funktioniert. Beschwerden könnten diese Situation gefährden.
Ana Gospodinova, Director Talent Management bei WeAreDevelopers, hat es sich zur Aufgabe gemacht, dass mehr Frauen ihren Weg in die Tech-Branche finden und sie dort auch die Anerkennung erhalten, die ihnen gebührt. Ana verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung, hauptsächlich im Recruiting in der Tech-Branche. Sie arbeitet mit Unternehmen und Organisationen an gezielten Initiativen mit weltweiter Wirkung. Sie ist Mentorin bei Global Women in Tech, sowie seit 4 Jahren Coach und Mentorin bei PWN Wien.
Welche Verhaltensweisen haben Sie bei Betroffenen erlebt, die das ungesunde Arbeitsverhältnis vielleicht noch verstärken oder begünstigen?
In unserer aktuellen Studie fanden wir heraus, dass fast jede:r zweite Entwickler:in unter Druck und Stress leidet. Oft wird dieser durch zu hohe Erwartungen der Führungskräfte ausgelöst, teilweise machen sich die Mitarbeitenden jedoch auch selbst zu viel Druck. Gerade Frauen neigen hier häufig zu einem ungesunden Perfektionismus, der vor allem durch ein falsches Geschlechterbild (“Superwoman”, die alles schafft, ohne nach Hilfe zu fragen) gefördert wird.
Während Männer zwar auch häufig unter extremen Druck im Job leiden, erwarten wir gesellschaftlich von ihnen im Gegenzug aber weniger, dass sie nebenbei noch Haushalt, Kinder, Sport und Hobbys zu 100 Prozent stemmen. Bei Frauen ist das immer noch anders. Die Folgen sind gigantisch. Etwa jede:r Vierte leidet an Burnout. Angstgefühle (23 Prozent) und Depressionen (16 Prozent) sind ebenfalls vielen ein Begriff. Zusätzlich leiden 20 Prozent unter Schlafmangel und 22 Prozent unter Konzentrationsschwierigkeiten. Ob diese gesundheitlichen Probleme in jedem Fall tatsächlich von der Arbeit herrühren, lässt sich natürlich nicht endgültig sagen. Ein gesundes Arbeitsumfeld kann jedoch dazu beitragen, dass diese Beschwerden gar nicht erst auftreten. Arbeitnehmer, insbesondere Frauen, sollten lernen, Grenzen zu setzen und das Wort „Nein“ zu einem Teil ihrer täglichen Routine zu machen, ohne dass dabei Schuldgefühle aufkommen. Auch ihre Bedürfnisse sowie ihre beruflichen und finanziellen Wünsche sollten sie deutlicher zum Ausdruck bringen.
Nicht jedes problematische Arbeitsverhältnis ist gleich ein worst-case-Szenario. Welche weniger bekannten und weniger offensichtlichen „Red Flags“ gibt es bei Arbeitgebern, die oft übersehen werden?
Etwas, das viele wahrscheinlich nicht direkt mit einem toxischen Arbeitsumfeld in Verbindung bringen würden, sind verpasste Fristen. Wenn Fristen regelmäßig nicht eingehalten werden, ist das ein Zeichen dafür, dass das Management nicht gut genug geplant hat, zu viel Arbeit übernommen hat, zu viel versprochen hat, sich nicht mit den Interessengruppen abgestimmt hat und so weiter.
Das wiederum führt dazu, dass die Programmierer:innen zu sehr unter Druck gesetzt werden. Sie sitzen oft bis spät in die Nacht vor dem Computer, um die Fristen einzuhalten. Darüber hinaus führt der häufige Wechsel der Aufgaben und des Schwerpunkts des Entwicklungsteams zu Unzufriedenheit, weil sie nicht in der Lage sind, den Zweck ihrer Arbeit zu erkennen.
Angenommen ich befinde mich bereits in einem langjährigen Arbeitsverhältnis und ich bemerke, dass mir das Umfeld oder die Arbeitskultur langfristig nicht guttut. Was wären die nächsten Schritte zur Besserung?
Ein Ratschlag, den ich super wichtig finde, ist immer: Man ist immer Teil eines Teams! Das heißt, wenn mir Entwicklungen auffallen, die meiner Meinung nach in die falsche Richtung laufen, dann habe ich als Teil des Teams auch die Möglichkeit, dies anzusprechen, konkrete Gegenvorschläge zu bringen und somit aktiv an der Company Culture und -Entwicklung mitzuarbeiten. Gute Vorgesetzte freuen sich über so ein proaktives Feedback, selbst wenn es im ersten Moment auf etwas Negatives aufmerksam macht.
Wie erkenne ich vielleicht schon als Bewerber:in, dass die Firma ein ungesundes Umfeld für mich ist?
Ich kann empfehlen, einen Blick in soziale Netzwerke wie LinkedIn zu werfen, um zu sehen, wie hoch die Fluktuation im Unternehmen ist. Eine hohe Fluktuationsrate ist ein Zeichen für ein toxisches Arbeitsverhältnis. Außerdem ist es kaum möglich, ordentlich zu arbeiten, da ständig neue Kolleg:innen eingearbeitet werden müssen. Bewerber:innen sollten sich nicht scheuen, mit den Mitarbeitenden Kontakt aufzunehmen und nachzufragen. Auch genaue Beobachtungen während des Vorstellungsgesprächs sind wichtig – so lässt sich der Arbeitgeber selbst am besten beurteilen.
Haben Sie noch einen Tipp für unsere Leser:innen, die in die IT-Entwicklung gehen möchten?
Sich mit anderen Frauen zu vernetzen, kann ein wichtiger Schritt sein. Dafür gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Netzwerke für Frauen in der Techbranche sind ein wichtiger erster Anlaufpunkt. Zu nennen ist hier etwa Lean in von Sheryl Sandberg, der ehemaligen Co-Geschäftsführerin von Facebook. Außerdem gibt es zahlreiche Events, bei denen sich Frauen vernetzen können. Ganz egal ob online oder vor Ort. Der Austausch mit anderen Frauen in ähnlichen Situationen ist Gold wert.
Einen weiteren spannenden Beitrag über Frauen in der Tech-Branche, findest du hier verlinkt.