Professor Steffen Staab leitet den Lehrstuhl für Analytic Computing an der Universität Stuttgart. Er ist Gründungsdirektor des neuen Instituts für Künstliche Intelligenz an der Hochschule, die unter anderem auch einen Master in Artificial Intelligence and Data Science anbietet.
Was dürfen wir uns unter der Cyber-Valley-Initiative vorstellen, der Ihr Institut angehört?
Die Cyber-Valley-Initiative ist die größte Forschungseinrichtung zu Künstlicher Intelligenz in Europa. Sie bringt die beiden Universitäten in Stuttgart und Tübingen sowie das Max-Planck-Institut für Künstliche Intelligenz mit den Standorten Stuttgart und Tübingen zusammen, um an den Grundlagen für Künstliche Intelligenz und Robotik zu forschen.
Der Lehrstuhl für KI wurde im Rahmen der Cyber-Valley-Initiative neu gegründet. Wir forschen zur Repräsentation und Nutzung von Hintergrundwissen in intelligenten Systemen. Ein intelligentes System muss nicht alles von Grund auf lernen, wenn es bereits Wissen in Datenbanken gibt. Ein autonom fahrendes Auto profitiert von Wissen über den Straßenverlauf: Es sollte besonders vorsichtig fahren, wenn eine Schule in der Nähe ist, und es kann das Verhalten anderer Autofahrer besser einschätzen, wenn es „weiß“, wo eine Kreuzung ist – auch wenn diese gerade von einem LKW verdeckt wird. Solches Hintergrundwissen nutzen wir auch in der Medizin und in der Produktion – aber eine KI muss auch neues Wissen dazulernen können.
Welchen Einfluss wird KI auf die Entwicklung von Wirtschaft und Arbeit haben?
Früher sind wir zu Fuß gegangen und physisches Arbeiten war auf menschliche und tierische Arbeitskraft beschränkt. Durch den Bau und die Nutzung von Dampfmaschinen, Diesel- und Elektromotoren haben wir unsere Mobilität erweitert und können nun viel größere Kräfte nutzen. Ganz analog war bis vor wenigen Jahren das intelligente Erkennen und Verstehen von Informationen durch unsere natürliche Kognition eingeschränkt. Menschen haben nur mit ihrer natürlichen Intelligenz Produkte entworfen, produziert, kontrolliert und kommuniziert. Jetzt können wir unsere natürliche Kognition durch künstliche Intelligenz erweitern und teilweise ersetzen. Damit können wir viele kognitive Routineaufgaben einer künstlichen Intelligenz übergeben. Eine Juristin nutzt eine KI, um eine siebenstellige Anzahl von Verträgen auf Unregelmäßigkeiten zu kontrollieren; ein Arzt lässt sich bei der Diagnose durch eine KI unterstützen; eine KI hilft der Architektin bei der Visualisierung ihrer Entwürfe; die KI interagiert individuell mit dem Schüler, damit er besseres Englisch lernt.
In fast jedem Lebensbereich können wir mit KI die Fähigkeiten von Menschen ergänzen und erweitern. Dabei geht es mir nicht darum, den Menschen zu ersetzen. Das halte ich nicht für wünschenswert und in näherer Zukunft auch gar nicht für machbar. Aber so wie ein Bagger die physische Kraft des Menschen erweitert, versieht uns die Künstliche Intelligenz mit Möglichkeiten kognitiven Fähigkeiten zu nutzen, die wir vorher nicht hatten. Aber so wie wir mit einem Bagger nicht stricken können, können wir der KI auch nicht jede Aufgabe geben, die irgendwo etwas mit Intelligenz zu tun hat.
Also in fast jedem Lebensbereich können wir mit KI die Fähigkeiten von Menschen ergänzen und erweitern?
Richtig. Dabei geht es allerdings nicht darum, den Menschen zu ersetzen. Das halte ich nicht für wünschenswert und in näherer Zukunft auch gar nicht für machbar. Aber so wie ein Bagger die physische Kraft des Menschen erweitert, versieht uns die Künstliche Intelligenz mit Möglichkeiten, kognitive Fähigkeiten zu nutzen, die wir vorher nicht hatten. Mit einem Bagger kann man nicht stricken, genauso können wir mit der KI auch nicht jede Aufgabe lösen, die irgendwo etwas mit Intelligenz zu tun hat.
Welche neuen Skills werden mit der Weiterentwicklung von KI von Berufseinsteigern gefordert und beschleunigen vielleicht sogar die Karriere?
Als James Watt die Dampfmaschine erfunden hat, hat er noch nicht den Eisenbahnverkehr vorhergesehen. Als das Internet erfunden wurde, hat noch niemand an Online-Shopping, Videokonferenzen und TikTok gedacht. Praktisch nutzbare künstliche Intelligenz ist immer noch so neuartig, dass wir derzeit nicht wissen, wie sie unser zukünftiges Leben verändern wird. Wer aber schlaue Ideen für die Nutzung von KI hat, baut vielleicht das nächste Unicorn – also eine Firma mit Milliardenwert.
Jeder wird in Zukunft KI in seinem Arbeitsleben nutzen und damit auch in der Lage sein müssen, sowohl mit den Fähigkeiten als auch mit den Schwächen der jeweiligen Künstlichen Intelligenz umzugehen und mit ihr zusammenzuarbeiten. Das heißt, wirklich alle Studierenden sollten sich mit Künstlicher Intelligenz befassen.
Welche Möglichkeiten sehen Sie für Studierende, aus der KI-Forschung heraus auch sehr praxisnahe Umsetzungserfahrungen zu sammeln?
Ich kenne kein modernes Unternehmen, dass sich nicht zumindest gedanklich mit Künstlicher Intelligenz befasst. An der konkreten Umsetzung hapert es noch. Ich glaube, dass Studierende hier neue Impulse in die Unternehmen hineintragen können, denn Studierende sind oft viel flexibler darin, neuartige KI-Werkzeuge erfolgreich zu nutzen als Mitarbeiter, die in ihren Routinen eingefahren sind. Meine Doktoranden sind übrigens auch viel innovativer bei der Nutzung von KI als ich selbst, die gehen da viel spielerischer heran.
Was würden Sie Studierenden raten, die einer Situation begegnen, in der KI an der Universität noch nicht in den Lehrplan mit einbezogen wird?
KI wird nicht nur die Informatik verändern. An der Uni Stuttgart haben wir eine Initiative gestartet, um Ingenieursstudierenden KI-Methoden zu lehren. Ich würde Studierenden raten, die Wahl ihrer Hochschule auch von der Beschäftigung mit KI abhängig zu machen. Wenn das keine Option ist: es gibt eine riesige Menge an Informationen zu KI im Web. Es ist nicht immer ganz einfach zu bestimmen, was davon qualitativ hochwertig ist, aber das Wissen ist im Web vorhanden.
Wie künstliche Intelligenz in der Praxis angewendet wird, erfährst du hier.
Professor Dr. Steffen Staab (Bild) leitet den Lehrstuhl für Analytic Computing an der Universität Stuttgart und ist dort zudem Professor für Analytic Computing. An der University of Southampton lehrt er Web and Computer Science. Er ist zudem Ko-sprecher des Exzellenzclusters Data-integrated Simulation Science (SimTech), Ko-sprecher des Stuttgarter Interchange Forums for Reflecting on Intelligent Systems (IRIS) und Gründungsdirektor des Instituts für Künstliche Intelligenz an der Universität Stuttgart. Zusammen mit früheren Mitarbeiter seines Lehrstuhls hat er die Semanux GmbH gegründet, um mit Methoden der Künstlichen Intelligenz motorisch eingeschränkten Menschen die Interaktion mit Computern zu erleichtern.