
Wenn von „Defense“ die Rede ist, denken viele zunächst an Panzer oder Waffensysteme. Doch die Verteidigungsindustrie ist längst mehr als das – sie ist ein hochdynamisches Technologiefeld, in dem Innovation, Digitalisierung und interdisziplinäre Zusammenarbeit im Fokus stehen. Im Interview erklärt Prof. Kaiser von der Universität der Bundeswehr, welche spannenden Perspektiven sich für MINT-Absolvent:innen in der Branche eröffnen, wie Start-ups frischen Wind einbringen, und warum gerade jetzt ein guter Zeitpunkt für den Einstieg ist.
Prof. Kaiser, beim Stichwort „Defense“ denkt man schnell an Panzer oder Kampfmittel. Welche weiteren MINT-Jobs bietet die Branche, ob nun im militärischen oder zivilen Bereich?
Tatsächlich ist das Spektrum viel breiter, besonders und gerade für MINT-Absolventen. Es gibt aus meiner Sicht etliche spannende Bereiche, in denen technisches Know-how gefragt ist: Viele Ingenieur:innen und Informatiker:innen entwickeln und warten Drohnen, Satelliten oder komplexe Kommunikationssysteme. Auch die Cybersecurity ist ein riesiges und noch wachsendes Feld – hier geht es darum, kritische digitale Infrastrukturen zu schützen und Angriffe darauf abzuwehren. Zudem spielen Datenanalyse und künstliche Intelligenz eine immer größere Rolle, etwa bei autonomen Systemen, der Auswertung von Aufklärungsdaten oder der Optimierung von Logistikprozessen. Aber auch Materialwissenschaften und Raumfahrttechnologie sind Beispiele. Kurz gesagt: Die Defense-Branche bietet ohne Frage eine Vielzahl von Möglichkeiten für MINT-Talente.
Wie ist die Defense-Branche insgesamt aufgestellt?
Traditionell wird die Branche von großen Playern wie Airbus, Rheinmetall und anderen dominiert, gerade mit Blick auf Mitarbeiterzahlen und Umsatz. Aber in den letzten Jahren hat sich eine recht dynamische Start-up-Szene entwickelt. Helsing, ARX Robotics, Quantum Systems und andere bringen frischen Wind in die Branche, indem sie innovative Technologien und meist etwas agilere Arbeitsweisen als die Branchenprimi einführen. Diese jungen Unternehmen arbeiten umgekehrt auch oft mit etablierten Firmen und staatlichen Stellen zusammen, um neue Lösungen zu entwickeln. Insgesamt ist die Branche also technisch recht innovativ, zum anderen gibt es aber seitens der staatlichen Beschaffung viele Regularien zu beachten.
Historisch gesehen war die Defense-Branche wie auch viele andere Ingenieursbranchen stark männlich geprägt. Sie ist es in weiten Teilen auch heute noch, allerdings ändert es sich zurzeit. Viele Unternehmen, gerade die großen Player, aber auch die Bundeswehr selbst, erkennen die Bedeutung von Vielfalt und setzen gezielt auf Diversity-Initiativen und fördern Frauen und ihre Karriere. Es gibt Mentoring-Programme, Netzwerke für Frauen in technischen Berufen und Fördermaßnahmen für weiblichen Führungsnachwuchs. Diese Entwicklungen zeigen aus meiner Sicht, dass die Branche offen für Veränderungen ist und aktiv daran arbeitet, ein inklusiveres und diverseres Arbeitsumfeld zu schaffen.
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Lange galten Branchen wie Automotive als absolute Frontrunner in Sachen Beliebtheit unter Studierenden für den Berufseinstieg. Wie sieht es bei der Defense-Industrie aus?
Die Automobilindustrie war nicht nur lange Zeit der Inbegriff für technische Innovation und Arbeitgeberattraktivität, sie ist es vermutlich auch heute noch. Allerdings führt die Krise der Automobilhersteller und auch der Zulieferer unweigerlich zu einer Umorientierung bei jungen Nachwuchskräften. Gerade seit dem Ausruf der Zeitenwende durch Olaf Scholz hat das Thema Verteidigung und damit auch die Defense-Branche deutlich mehr Aufmerksamkeit erhalten. Sicher nicht für alle, aber für viele hat sie zudem an Attraktivität gewonnen. Ein Grund dafür ist die von vielen wahrgenommene Sinnhaftigkeit der Arbeit – es gibt Menschen, die explizit an Projekten arbeiten möchten, die einen direkten Beitrag zur Sicherheit und Stabilität leisten. Zudem bietet die Branche ohne Frage spannende technologische Herausforderungen, etwa in der Entwicklung von komplexen und vernetzen KI-Systemen, der Cyberabwehr oder der Raumfahrttechnik. Auch die Möglichkeit, an internationalen Projekten mitzuwirken, macht die Branche interessant für MINT-Absolventen.
Welche Trends bewegen die Branche derzeit und wie bereiten sich Hochschulabsolvent:innen idealerweise darauf vor?
Aktuell gibt es mehrere Trends, die die Defense-Branche prägen. Dazu gehören die zunehmende Digitalisierung, der Einsatz von künstlicher Intelligenz, die Entwicklung autonomer Systeme und die Stärkung der Cybersecurity. Auch Nachhaltigkeit und Energieeffizienz gewinnen an Bedeutung. Für Hochschulabsolventen bedeutet das, dass neben dem Fachwissen in ihrem jeweiligen Bereich auch interdisziplinäre Kompetenzen gefragt sind. Kenntnisse in Datenanalyse, Programmierung oder Projektmanagement können von Vorteil sein. Praktische Erfahrungen, etwa durch Praktika oder Projektarbeiten, helfen wie so oft einen Einblick in die spezifischen Anforderungen der Branche zu bekommen. Ein Trend ist sicherlich aber auch die Entstehung neuer Start-up-Ökosystem in diesem Bereich.
Findet in nicht-öffentlichen Unternehmen mehr Forschung und Entwicklung statt oder ist die Annahme irrig?
Sowohl öffentliche als auch private Unternehmen betreiben intensive Forschung und Entwicklung. Große Konzerne wie Airbus oder Rheinmetall, aber auch die jungen Start-ups, investieren erhebliche Mittel in die Entwicklung neuer Technologien. Gleichzeitig gibt es zahlreiche Forschungsinstitute und Hochschulen, allen voran die Universitäten der Bundeswehr, die in Kooperation mit der Industrie an innovativen Lösungen arbeiten. Die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Akteuren ist dabei oft sehr eng, was den Technologietransfer und die Umsetzung von Forschungsergebnissen in die Praxis erleichtert.
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Wie finden MINT-Absolvent:innen in der Branche die Unternehmen oder Institutionen, die wirklich gute Arbeitgeber sind?
Hier gilt vermutlich das, was für alle Branchen gilt. Eine gute und konkrete Möglichkeit, potenzielle Arbeitgeber kennenzulernen, sind Fachmessen und Karriereveranstaltungen, vielleicht auch etwas spezifischere Veranstaltungen, wie die ILA Berlin oder die AFCEA in Bonn oder auf europäischer Ebene die European Defence Innovation Days. Bei den aktuellen Entwicklungen und bei der Dynamik in der Branche ist es wichtig, sich nicht nur auf die großen Namen zu konzentrieren, sondern auch kleinere Unternehmen und Start-ups in Betracht zu ziehen, die oft spannende Projekte und noch flachere Hierarchien bieten. Viele Defense-Unternehmen sind zudem auch auf LinkedIn und auf Bewertungsplattformen wie Kununu unter dem Schlagwort Defense oder Verteidigung zu finden. Hinzuweisen wäre noch darauf, dass gerade auch der öffentliche Sektor interessante Arbeitsplätze bietet, wie zum Beispiel das Beschaffungsamt der Bundeswehr, der Cyber Innovation Hub der Bundeswehr oder die Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich.
UNSER INTERVIEWPARTNER
Univ.-Prof. Dr. rer. pol. Stephan Kaiser ist Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Personalmanagement und Organisation an der Universität der Bundeswehr München. Er ist Gründungsmitglied und Vorstand des Forschungszentrums INDOR (Institut für Entwicklung zukunftsfähiger Organisationen) und leitet die Professur für ABWL, Personalmanagement und Organisation an der Fakultät für Wirtschafts- und Organisationswissenschaften der Universität der Bundeswehr München.