Diversity, Digitalisierung und öffentliche Verwaltung. Drei Schlagworte, die nicht zueinander passen? Nicht für Prof. Dr. Christian Schachtner von der Hochschule RheinMain. Er lehrt nicht nur den Schwerpunkt Verwaltungsinformatik in den Studiengängen des Fachbereichs Informatik, sondern bringt auch die entsprechende Expertise aus seinen Tätigkeiten außerhalb der wissenschaftlichen Laufbahn mit. Wir sprechen mit ihm über die digitalen Herausforderungen wie Künstliche Intelligenz bei Kommunen – insbesondere in deren Rolle als Arbeitgeber.
Prof. Schachtner, junge Generationen fordern auch bei Arbeitgebern wie Kommunen einen Strukturwandel ein – in Sachen Diversity, aber genauso New Work. Prallen hier zwei Welten aufeinander?
In der Tat treffen hier unterschiedliche Perspektiven aufeinander, aber es wäre falsch, von einem unüberwindbaren Gegensatz zu sprechen. Viele Kommunen haben erkannt, dass sie sich wandeln müssen, um für junge Talente attraktiv zu bleiben. Sie implementieren zunehmend flexible Arbeitsmodelle, digitale Kollaborations-Tools und flachere Hierarchien. Gleichzeitig gibt es in Behörden oft langjährige Mitarbeiter mit wertvoller Erfahrung, die ebenfalls eine Stärke darstellen. Eine wesentliche Herausforderung besteht darin, einen Kulturwandel behutsam zu gestalten, der die Stärken beider Welten vereint. Innovative Konzepte wie Reverse Mentoring, bei dem jüngere Mitarbeiter ältere in digitalen Themen schulen, können Brücken bauen. Der Schlüssel liegt in einer schrittweisen, aber konsequenten Modernisierung, die alle Generationen mitnimmt und gleichzeitig die besonderen Anforderungen des öffentlichen Dienstes berücksichtigt. Damit meine ich insbesondere Herausforderungen
- in der politischen Legitimation von Verwaltungsprojekten,
- Transparenz und Einbeziehung von Bürgern in partizipative Maßnahmenbewertungen
- oder technologische und organisationale Transformation und
- Ressourcenknappheit,
- kulturellen Paradigma der prioritären Rechtskonformität und
- besonderen Auflagen zum Schutz personenbezogener Daten.
Konkrete IT-Herausforderungen
Welche Aufgaben in Sachen Digitalisierung sehen Sie im kommunalen Bereich?
Sie sind auf jeden Fall vielfältig. Eine zentrale Aufgabe ist die Modernisierung veralteter IT-Infrastrukturen, von Server-Client-Systemen hin zu Software-as-a-Service-Plattformlösungen – und das bei gleichzeitiger Gewährleistung der Cybersicherheit. Die Implementierung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) stellt viele Verwaltungen vor große Aufgaben, da zahlreiche Dienstleistungen digitalisiert und gleichzeitig nutzerzentriert werden müssen. Auch der Aufbau von Datenkompetenzen und die Integration von KI-Lösungen in Verwaltungsprozesse sind herausfordernd und koordinationsintensiv. Hier schlägt sich besonders schwer nieder, dass viele Kommunen mit knappen Budgets und Fachkräftemangel kämpfen, was die Umsetzung digitaler Projekte noch viel stärker erschwert.
Ein weiteres Thema ist die digitale Teilhabe: Kommunen müssen sicherstellen, dass alle Bürger, unabhängig von Alter, körperlichen bzw. geistigen Behinderungen oder technischen Fähigkeiten, Zugang zu digitalen Diensten haben. Unterschiedliche IT-Systeme miteinander harmonieren zu lassen und interoperable Lösungen zwischen verschiedenen Verwaltungsebenen zu schaffen, bleiben ebenfalls große Herausforderungen. Nicht zuletzt erfordert die digitale Transformation einen kulturellen Wandel in den Verwaltungen, der oft auf Widerstände stößt. Strategisches Denken, Investitionen und eine enge Projekt-Zusammenarbeit zwischen Kommunen, Ländern und dem Bund sind wesentliche Erfolgsfaktoren.
Der Strukturwandel beinhaltet aber nicht nur die Digitalisierung, sondern auch Diversity & Inklusion. Nach einer Studie von McKinsey aus dem Jahr 2022 wissen 55% der Mitarbeitenden im Öffentlichen Dienst nicht, was der eigene Arbeitgeber in Sachen Diversity unternimmt. Wie dann Außenstehende?
Diese Zahl offenbart in der Tat ein Kommunikationsdefizit vieler Kommunen im Bereich Diversity. Zum einen fehlt es häufig an einer gezielten, strategischen Kommunikation, die Diversity-Initiativen für alle sichtbar macht. Zum anderen sehen viele Kommunen Diversity und Inklusion noch nicht als zentrales Thema ihrer Arbeitgeberpositionierung. Dabei bietet gerade der öffentliche Dienst mit seiner gesellschaftlichen Verantwortung großes Potenzial, sich als vielfältiger und inklusiver Arbeitgeber zu positionieren. Um die Wahrnehmung zu verbessern, sollten Kommunen ihr Interesse an Mitarbeiter mit diversen Lebenslaufen und Hintergründen stärker in interne Kommunikationskanäle wie Intranets oder Mitarbeiterblogs integrieren. Auch die Einbindung von Führungskräften, die als Quereinsteiger Botschafter für vielfältige Perspektiven auf Verwaltungsthemen sind, kann die Sichtbarkeit erhöhen. Nach außen können Social-Media-Kampagnen oder die Teilnahme an Diversity-Initiativen die Wahrnehmung stärken. Einzelne Maßnahmen gibt es mit Sicherheit viele, doch letztlich ist Diversity kein isoliertes Projekt, sondern integraler Bestandteil der Organisationskultur vieler Kommunen. Absolvent:innen könnten diese Punkte bei Vorstellungsgesprächen ganz bewusst thematisieren und so die jeweilige Kommune auf den persönlichen Fit in Sachen Diversity und Trendthemen wie KI prüfen.
Praxisbeispiele für Künstliche Intelligenz bei Kommunen
Apropos Künstliche Intelligenz bei Kommunen: Im Justizbereich bleiben rund 900.000 Verfahren unerledigt, weil niemand hinterherkommt, sagt zumindest der Deutsche Richterbund. Könnte eine mit Gesetzestexten trainierte KI hier nicht unterstützend tätig werden?
Künstliche Intelligenz birgt in der Tat großes Potenzial, um die Justiz bei der Bewältigung des enormen Arbeitsaufkommens zu unterstützen. KI-Systeme könnten Fälle beispielsweise vorab analysieren, Dokumente kategorisieren und Präzedenzfälle recherchieren. So können sich Richter und Justizangestellte auf komplexere Aufgaben in der Fallinterpretation und Rechtsauslegung konzentrieren. Allerdings gibt es auch Herausforderungen: Die Implementierung von KI-Systemen erfordert erhebliche Investitionen in Technologie und Schulungen. Zudem müssen datenschutzrechtliche Bedenken und ethische Fragen sorgfältig adressiert werden. Es ist entscheidend, dass KI nur als Unterstützung dient und nicht die richterliche Entscheidungsfindung ersetzt. Einige Pilotprojekte wie „OLGA“, „KISTRA“ oder „JANO“ in Deutschland und anderen Ländern zeigen vielversprechende Ergebnisse, jedoch ist das Trainieren von verfügbaren Large Language Models auf behördliche Fachausdrücke ebenfalls ein nicht zu unterschätzender Aufwand. Um das volle Potenzial von KI in der Justiz zu nutzen, bedarf es einer koordinierten Strategie, beispielsweise sichergestellt durch ein nationales Exzellenzcluster als unabhängige und informelle Experteneinheit, die Technologie, Recht und Ethik in Einklang bringt.
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Gerade Kommunen haben oft ähnliche, wenn nicht sogar identische Prozesse. Wäre eine solche koordinierte Strategie, etwa eine gemeinsame Taskforce nicht hilfreich?
Ja, das wäre äußerst sinnvoll und könnte erhebliche Synergieeffekte schaffen. Viele kommunale Prozesse, wie Antragsverfahren oder Bürgeranfragen, sind tatsächlich vergleichbar und würden von standardisierten KI-Lösungen profitieren. Der Grund, warum es bisher keine flächendeckende Initiative gibt, liegt weniger in einer Konkurrenz zwischen Kommunen, sondern eher in strukturellen Herausforderungen. Föderale Strukturen, unterschiedliche IT-Infrastrukturen und variierende Prioritäten erschweren oft die übergreifende Zusammenarbeit. Zudem fehlt es häufig an finanziellen und personellen Ressourcen für solche Innovationsprojekte. Positive Beispiele wie die IKZ in Mittelhessen zeigen jedoch, dass Kooperation möglich und fruchtbar ist. Um eine breitere Zusammenarbeit zu fördern, wären Anreize von Bund und Ländern hilfreich, etwa durch Förderprogramme für ebensolche interkommunale KI-Projekte. Auch die Schaffung einer zentralen Plattform für den Austausch von Best Practices könnte die Entwicklung beschleunigen. Wir an der Hochschule RheinMain sind im Begriff, ein Institut für kommunales Management zu gründen, um solche Fallstudien zu bündeln und abrufbar zu machen. Letztlich liegt der Schlüssel in der Überwindung von Insellösungen und der Förderung einer Kultur des Wissensaustauschs zwischen Kommunen.
Wo stehen Kommunen in Sachen Cyber-Sicherheit?
Nicht nur auf der kommunalen Ebene werden oft (zwangsweise) eigene Süppchen gekocht – in Sachen Cyber Sicherheit ist Bayern das einzige Bundesland mit einem LSI.
Die Tatsache, dass Bayern als einziges Bundesland ein Landesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (LSI) hat, spiegelt die unterschiedlichen Ansätze der Länder im Bereich Cybersicherheit wider. Viele Bundesländer setzen auf bestehende Strukturen oder integrieren Cybersicherheit in vorhandene Behörden, anstatt neue Institutionen zu schaffen. Eine Konzentration auf das BSI ist teilweise zu beobachten, aber dessen begrenzte Zuständigkeit für Kommunen schafft eine Lücke. Ein Grund für die Zurückhaltung anderer Länder bei der Einrichtung eigener LSIs sind die hohen Kosten und der Fachkräftemangel im IT-Sicherheitsbereich. Zudem gibt es Bestrebungen, Cybersicherheit stärker auf Bundesebene zu koordinieren, um Ressourcen zu bündeln und einheitliche Standards zu schaffen. Für Kommunen bedeutet dies oft, dass sie auf eigene Faust oder in regionalen Verbünden Lösungen finden müssen. Kompetenzzentren auf Landesebene könnten die Kommunen vernetzt beraten und im Verbund unterstützen, ohne die Struktur eines vollständigen LSI zu erfordern. Langfristig könnte eine Mischung aus zentraler Koordination und dezentraler Umsetzung unsere Cybersicherheitslandschaft deutlich verbessern.
Sollte kommunale Infrastruktur KRITIS werden und wenn ja, welche Konsequenzen hätte das?
Die Einstufung kommunaler Infrastruktur als Kritische Infrastruktur (KRITIS) wäre ein bedeutender Schritt zur Verbesserung der Cybersicherheit auf lokaler Ebene. Dies würde vor allem zentrale Verwaltungssysteme, Energieversorgung, Wasserwerke und wichtige kommunale Dienstleistungen betreffen. Die Konsequenzen wären weitreichend: Kommunen müssten strengere Sicherheitsstandards implementieren, regelmäßige Sicherheitsaudits durchführen und Notfallpläne entwickeln. Dies würde zu einer erhöhten Widerstandsfähigkeit gegen Cyberangriffe führen, aber auch die mehrfach erwähnten, erheblichen finanziellen und personellen Ressourcen erfordern. Die KRITIS-Einstufung würde zudem eine engere Zusammenarbeit mit Bundes- und Landesbehörden notwendig machen und könnte den Zugang zu speziellen Fördermitteln und Unterstützungsleistungen eröffnen. Allerdings müsste sorgfältig abgewogen werden, welche kommunalen Bereiche tatsächlich als kritisch einzustufen sind, um eine Überregulierung zu vermeiden.
Über unseren Interviewpartner
Professor Dr. Christian Schachtner hat seit Mitte 2023 die Professur für Wirtschaftsinformatik mit Schwerpunkt Digitalisierung in der Verwaltung an der Hochschule RheinMain inne. Er selbst studierte unter anderem an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und weiteren. Berufliche Stationen umfassen die des Chief Digital Officer der Stadt Kempten sowie des Leiters wissenschaftliche Stabstelle Prozessmanagement und Agilität, plus die des Teamleiters Digitale Transformation bei der Stadt Bamberg.