Die nächsten Jahre werden extrem spannend, was die Weiterentwicklung von Künstlicher Intelligenz angeht. Wer dieses Themenfeld mitprägen möchte, sollte als ITler:in oder auch Mathematiker:in für 2022 unbedingt über einen Berufseinstieg im Fachbereich KI nachdenken. Die besten Gründe dafür liefert euch Alexander Thamm, Mitbegründer des KI Bundesverbands und selbst Gründer eines Data & KI-Unternehmens.
Herr Thamm, künstliche Intelligenz ist ein breitgefächertes Themenfeld und eine Branche, die zunehmend in den Fokus des öffentlichen Interesses rückt – welcher Bereich ist Ihrer Meinung nach der aktuell spannendste und können Sie diesen kurz beschreiben?
Künstliche Intelligenz ist ganz grundsätzlich der derzeit spannendste Bereich der Digitalisierung. Dahinter steckt enormes Potential und dies generell für alle Wirtschaftsbereiche, Branchen und Industrien. Branchenexperten sagen voraus, dass wir bis 2030 die zweite Welle von KI-Unternehmen erleben werden, die ein BIP-Wachstum von 13 Billionen US-Dollar generieren. Bislang haben führende Technologieunternehmen den größten Teil des Wertes generiert und sie werden in dem Bereich sicherlich auch führend bleiben. Was die Entwicklung jetzt aber sehr spannend macht ist, dass die nächste Welle über IT-Unternehmen hinaus von Traditionsunternehmen und Mittelstand getragen wird, was zugleich die große Chance für Europa ist.
Besonders spannend: Neuronale Netzwerke
Informatiker:innen sitzen am Puls der digitalen Innovation – welche aktuellen technischen KI-Entwicklungen sind für IT-Absolvent:innen besonders interessant?
Da gibt es natürlich eine ganze Reihe an Entwicklungen. Sehr spannend ist beispielsweise der Aufbau von Open GPT-X, ein KI-Sprachmodell als europäische Antwort auf GPT-3 aus USA oder Wu Dao 2.0 aus China. Es handelt sich dabei um ein künstliches neuronales Netzwerk, das eigenständig Texte und Programmiercodes generiert. KI-Sprachapplikationen sind eine wesentliche Grundlage für innovative Business-Lösungen, denn Sprachmodelle können eine Vielzahl an Aufgaben erfüllen: Texte korrigieren oder übersetzen, gesprochene Sprache in Text umwandeln, Stimmungen und Meinungen erkennen, Fragen beantworten oder Dialoge führen. Ein Konsortium, in dem auch ein Team von Alexander Thamm (Anm.d.R.: gleichnamiges Unternehmen) mitarbeitet, treibt diese Entwicklung voran. Der Aufbau einer vergleichbaren KI in Deutschland soll auch der digitalen Souveränität dienen, indem Unternehmen ihre Datensouveränität wahren und ihre Wettbewerbsfähigkeit sichern. KI ist aber auch deshalb besonders spannend, weil es bereits heute und zukünftig eine noch wesentlich stärkere Rolle auf allen Ebenen der Wertschöpfungskette spielt.
Gibt es bezüglich KI auch Karrieremöglichkeiten außerhalb der gängigen IT-Unternehmen?
Künstliche Intelligenz hat das Potential, einen wichtigen Beitrag bei einigen der großen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit zu leisten: KI spielt eine Rolle bei der Energiewende, beim autonomen Fahren, bei der Erkennung und Behandlung von Krankheiten. KI steigert die Effizienz von Produktionsprozessen und erhöht die Anpassungsfähigkeit von Unternehmen auf Marktveränderungen durch Echtzeitinformationen sowie Vorhersagen. Das größte Wachstum im KI-Kontext liegt daher in den nächsten zehn Jahren, wie bereits oben beschrieben, außerhalb der klassischen IT-Unternehmen. In sämtlichen DAX-Unternehmen wurde und wird Expertise aufgebaut, der Mittelstand ist entweder ebenfalls bereits dabei oder zieht gerade nach. Daten- und KI-Experten stehen also in sämtlichen Wirtschaftszweigen Türen ganz weit offen.
Berufseinstieg in die KI 2022: Konzern oder Start-up
Der Arbeitsmarkt für IT´ler ist riesig und Unternehmen suchen händeringend nach IT-Fachpersonal – sollten Absolvent:innen sich an größere Unternehmen orientieren oder sind kleine Start-ups doch interessanter?
Das ist eine Frage, die jeder individuell für sich beantworten sollte. Nicht jede:r ist ein „Corporate-“ oder ein „Start-up“-Typus. Und dazwischen liegen ja auch noch Scale- oder Grown-ups. Es lohnt sich außerdem auf, zum Teil ausgegründete, Innovationseinheiten der Konzerne zu schauen und nicht zu vergessen: Deutschland hat einen sehr innovativen Mittelstand. Absolvent:innen sollten sich fragen, an welchem Thema, an welcher Industrie beziehungsweise Branche sie besonderes Interesse haben, wie hoch das „Sicherheitsbedürfnis“ ist und in welcher Unternehmenskultur sie arbeiten möchten.
Welche Abschlüsse eignen sich besonders für den Berufseinstieg in den Fachbereich KI und mit welchem Gehalt kann man rechnen?
Es gibt noch nicht lange spezialisierte Ausbildungsgänge für das große Thema Künstliche Intelligenz. Der gängigste Ausbildungsweg ist derzeit eine Ausbildung zum Fachinformatiker oder ein abgeschlossenes Studium im Bereich der Informatik, Wirtschaftsinformatik oder Mathematik. Berufsbilder wie beispielsweise des Data Strategist, Data Scientist, Data- oder Machine Learning-Engineer, Data Architect oder Data Ops-Engineer sind ebenfalls vergleichsweise neu, aber bereits am Markt stark nachgefragt. Tendenz in nahezu jeder Branche weiter sehr stark steigend. Damit sind die Möglichkeit und die Aussicht auf ein überdurchschnittliches Einstiegsgehalt enorm. Die Höhe wird von Branche zu Branche wie auch heute bei den meisten Berufen unterschiedlich sein und richtet sich nach den Möglichkeiten des Unternehmens. Wem dies besonders wichtig ist, der sollte, um die vorherige Frage noch einmal aufzugreifen, eher nicht in ein Start-up gehen.
Mehr Beiträge rund im Data Science, Software Engineering oder Cyber Security findest du in den verlinkten Karrierenetzwerken!
Worauf sollten zukünftige KI-Informatiker:innen bei ihrer Bewerbung achten?
Das ist nicht viel anders als bei anderen Berufsbildern auch. Motivation, Neugier, Begeisterung, Kommunikationsstärke sind und bleiben gefragte Skills und werden in der aktuellen Zeit, in der Unternehmen die Relevanz einer offenen Unternehmenskultur (neu) entdecken eher wichtiger. Aber natürlich muss man im Bereich KI immer up-to-date bleiben: Man kann sich nicht darauf ausruhen, eine bestimmte Programmiersprache gelernt zu haben und diese für die nächsten 10 Jahre anwenden wollen. Der KI-Arbeitsbereich ist umfangreich und bleibt wegen des hohen Entwicklungstempos sehr spannend und abwechslungsreich, aber das macht auch den Reiz dieser Tätigkeiten aus.
Laut einer Statistik des Statistischen Bundesamt ist die Anzahl an Studienanfänger:innen und Absolventen:innen in Informatikstudiengängen an deutschen Hochschulen rückläufig. Gilt das auch für den Bereich der KI und wie kann man Ihrer Meinung nach dem Trend entgegenwirken?
Unter Informatikstudenten steigt generell der Anteil derer, die sich auf Künstliche Intelligenz spezialisieren. Aber die Ausgangslage ist natürlich dennoch alles andere als beruhigend für ein Land wie Deutschland, welches den Anspruch hat, bei der Digitalisierung global vorne mitzuspielen. Das Thema Informatik- / KI-Ausbildung sollte bereits lange vor den Universitäten anfangen, also in der Erziehung und dem Bildungssystem im frühesten Stadium. Kinder müssen viel früher mit Informatik, Daten und KI in Kontakt gebracht werden, und zwar nicht als passive Konsumenten, sondern als aktive Gestalter. Denn allein ein iPad im Klassenzimmer löst noch keine Probleme. Ebenso wenig braucht jedes zehnjährige Kind schon ein Smartphone. Kinder und Jugendliche können dagegen frühzeitig und spielerisch anfangen zu programmieren, erfahren, wie man LEDs zum Leuchten bringt, wie man Stimmen verzerrt, wie man Roboter fahren lässt. Wir als KI Bundesverband setzen uns dafür ein, dass das Thema Pflichtfach wird.
Über Alexander Thamm:
Alexander Thamm ist Gründungsmitglied und Regionalmanager des KI Bundesverbandes e.V. Außerdem ist er Gründer und Geschäftsführer der Alexander Thamm GmbH, welche zu den führenden Data & AI-Beratungen im deutschsprachigen Raum zählt. Gemeinsam mit seinem Team hat er mit mehr als 100 Unternehmen an mehr als 700 Daten- und KI-Projekten zusammengearbeitet. Thamm ist Autor des anerkannten Fachbuchs „The Ultimate Data and AI Guide“ sowie zahlreicher weiterer Publikationen, gefragter Speaker sowie Mitbegründer des DATA Festivals, auf dem KI-Experten und Visionäre die datengetriebene Welt von morgen demonstrieren.