Inmitten des technologischen Wandels und der globalen Herausforderungen in der Automobilindustrie bereitet ein Masterstudiengang an der Universität Duisburg-Essen darauf vor, die Zukunft des Automobilmanagements maßgeblich mitzugestalten. In einem exklusiven Interview mit Professorin Dr. Heike Proff haben wir Einblicke gewonnen, welche Problemstellungen dabei zu bewältigen sind.
Für die deutsche Volkswirtschaft spielt die heimische Autoindustrie eine wichtige Rolle. Wo sehen Sie sie heute?
Die deutsche Automobilindustrie hatte etwas zu lange wegen der hohen Margen an der Verbrenner-Technologie festgehalten. Es wäre aber falsch und auch nicht zielführend, sie abzuschreiben. Ihre Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft sind immer noch sehr groß.
Wie sehen Sie die deutschen und europäischen Hersteller im internationalen Vergleich?
Einer der Kritikpunkte, die man häufig hört, ist, dass Deutschland zwar im klassischen Maschinenbau und der Fahrzeugfertigung noch Benchmark sei, aber die Elektrifizierung nicht entschieden genug vorangetrieben hat. Chinesische Unternehmen sind – staatlich verordnet – viel früher in die Batteriefertigung eingestiegen und haben sich auch Zugänge zu den notwendigen Rohstoffen gesichert.
Es ist unbestritten, dass deutsche und europäische Hersteller in der Batterietechnologie hinterherhinken, es werden aber massive Anstrengungen unternommen, diesen Rückstand aufzuholen. Trotzdem liegen noch einige harte Jahre vor uns. Eine Konzentration der deutschen Automobilindustrie auf Nischen- und Luxussegmente und eine Vernachlässigung des Massenmarktes wäre eine große Fehlentscheidung. Die Entwicklung Software-definierter Fahrzeuge ist so teuer, dass sie nur über große Stückzahlen finanziert werden kann.
Prof. Dr. Heike Proff studierte BWL in Frankfurt und Mannheim. Nach der Promotion in Frankfurt habilitierte sie in Mannheim. Von 2004 bis 2009 war sie Inhaberin des Lehrstuhls für Internationales Management an der Zeppelin-University Friedrichshafen. Seit 2009 hat sie den Lehrstuhl für ABWL & Internationales Automobilmanagement und leitet den Masterstudiengang „Automotive Engineering & Mobility Management“ an der Universität Duisburg-Essen.
Wo sehen Sie in den kommenden Jahren die größten Technologiesprünge?
Das zentrale Wettbewerbsfeld wird der Übergang zum autonomen Fahren, also auch zum Software-definierten Fahrzeug sein, was eine radikale Veränderung gegenüber Hardware-fokussierten Geschäftsmodellen der Vergangenheit bedeutet. Diese Herausforderung ist für die deutschen Automobilunternehmen sicherlich noch größer als der Übergang in die Elektromobilität. Industrieentscheidungen müssen immer stärker auch unter geopolitischen Gesichtspunkten getroffen werden.
Der Exportmarkt China ist für die deutschen Hersteller essenziell. Denken Sie, es gibt einen Plan B, falls es zu massiven Krisen kommt?
Die Automobilindustrie bemüht sich derzeit sehr darum, Lieferketten von China unabhängig zu machen. Gleichwohl wäre der Verlust des mit Abstand größten Automobilmarktes der Erde, China, gerade für die deutschen Hersteller, die dort über 30 Prozent ihres Umsatzes und noch mehr ihres Gewinnes machen, nicht zu kompensieren. Führungs- und Fachkräfte werden zukünftig noch mehr als bisher gebraucht, um die Herausforderungen der Märkte weltweit zu bewältigen.
In Ihrem Masterstudium bereiten Sie Ihre Studierenden auf die aktuellen Herausforderungen im Automobilmanagement vor. Was für Aufgabenfelder warten dort – und welche Skills braucht man dafür?
Unser Masterstudiengang „Automotive Engineering & Mobility Management“ (AEM) bereitet auf technische Herausforderungen im Übergang zu Software-definierten Fahrzeugen und zum autonomen Fahren, aber auch auf Managementherausforderungen im Übergang und in der Umsetzung einer smarten Mobilität mit vernetzten und geteilten Fahrzeugen vor.
„Jede Transformation eröffnet Chancen für neue Unternehmen“
Angesichts der massiven Transformation in der Automobilindustrie und im Mobilitätssektor, ist nicht so sehr Faktenwissen entscheidend, sondern die Methodenkompetenz, um in gegebenen Situationen Entscheidungen zu treffen und Handlungen abzuleiten. Angesichts des notwendigen Wandels in den Unternehmen ist Sozialkompetenz unabdingbar. Diese Kompetenzen werden im Studiengang AEM vermittelt.
Sind Ihre Studierenden so auf das „große Bild“ der Autoindustrie vorbereitet?
Absolut. Genau deswegen liegt der Studienschwerpunkt bei uns in der Schnittstelle zwischen Engineering und Management. Damit bringen unsere Absolvent:innen einen generalistischen Kompetenzfundus mit. Große Transformationen gelingen eben nur ganzheitlich und interdisziplinär, in der Technik-getriebenen Automobilindustrie durch Ingenieur- und Naturwissenschaftler sowie Ökonomen. Grundsätzlich würde ich jedem empfehlen, der sich für einen Einstieg in unsere Branche interessiert, sich neben der BWL zunächst mit Informatik, vor allem Softwareentwicklung, (Elektro-)Chemie und anderen MINT-Fächern zu beschäftigen. Zur Motorenentwicklung würde ich eher nicht raten.
Im Maschinenbau findet viel Austausch zwischen Herstellern und Hochschulen statt. Bei Software sieht das ganze aber oft anders aus. Was tun die Unternehmen dafür, den Technologietransfer auch auf die Software auszuweiten?
Zum Auto gehört mittlerweile viel mehr als das Fahrgefühl und eine sichere und schicke Hardware. Der Trend wird auch in Zukunft zu Infotainment-Systemen und smarter Software zur einfachen Bedienung im Auto gehen. Hier muss sich aber gerade in Deutschland noch einiges tun.
Das Defizit ist den Automobilunternehmen aber vollständig bewusst und sie befinden sich hier im massiven Wettbewerb mit Technologieunternehmen und Start-ups. In der Tat braucht es viel mehr Kooperationen mit Hochschulen, nicht nur in der Hardware, sondern auch in der Software. Durch solchen Technologietransfer wird auch die deutsche Autoindustrie zukunftsfähig.
Mobilität muss nachhaltiger werden. Worin sehen Sie den längsten Hebel für schnelle Erfolge?
Da 70 Prozent der CO2-Emissionen eines Fahrzeugs in der Nutzungsphase anfallen, ist der schnelle Übergang zu einer Elektromobilität mit erneuerbaren Energien der mit Abstand wichtigste Hebel.
An einem langen Hebel sitzt aber auch der Staat. Dieser sollte meiner Meinung nach Multi-Life Anwendungen in einer Anfangsphase fördern, zum Beispiel die Wiederverwendung der Autobatterie in Photovoltaikanlagen und danach in Gabelstaplern, weil Multi-Life wirtschaftlicher und ökologischer als Recycling ist. Dies ist auch ein Feld, in dem viele innovative Start-ups Lösungen vorschlagen.
Wo können Start-ups noch etwas bewegen?
Jede Transformation eröffnet Chancen für neue Unternehmen. Neben der Nachhaltigkeit gehört dazu auf jeden Fall auch die Künstliche Intelligenz. Dort gibt es ungenutzte Potenziale, die Start-ups für sich nutzen können, um auf dem Markt etwas zu bewegen.
Was bedeutet Mobilität für Sie persönlich und welches Auto bringt Sie aktuell durchs Leben?
Ich fahre sehr gerne seit vielen Jahren mein kleines Elektroauto, den BMW i3. Individuelle Mobilität ist ein hohes Gut und hat auch etwas mit Freiheit und Unabhängigkeit zu tun. Wir müssen aber angesichts von Umwelt- und Verkehrsproblemen in den Städten intelligenter damit umgehen und mehr und mehr Fahrten, die auch mit E-Bike, Bahn oder Bus gemacht werden können, im Sinne einer sozial verträglichen, nachhaltigen Transformation der Mobilität ersetzen.
Universität Duisburg-Essen
Automotive Engineering & Mobility Management M. Sc.
Der Studiengang startet im Winter- und Sommersemester. Der dreisemestrige Vollzeitstudiengang bietet eine fundierte Grundlage. Es werden zugleich technische und ökomische Inhalte vermittelt, sodass die Absolvent:innen umfassende Kenntnis sowohl über Grundlagen als auch über aktuelle Entwicklungen in der Automobilindustrie erhalten. Studierende profitieren zudem von der engen Zusammenarbeit mit renommierten Automobilunternehmen.
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