Wie steht es in Deutschland um die Healthcare IT und bietet dieser Bereich interessante sowie zukunftsträchtige Einstiegschancen für Absolvent:innen? Wir baten Prof. Trill von der MSH Medical School Hamburg – University of Applied Sciences and Medical University um eine persönliche Einschätzung.
Um die aktuelle Bewegung im Healthcare IT-Markt beurteilen zu können, muss berücksichtigt werden, dass Deutschland bis 2016 im europäischen Maßstab weit hinterherhinkte. Das Ranking auf Platz 16 in der EU sprach eine deutliche Sprache. Mit dem eHealth-Gesetz 2016 begann eine „Aufholjagd“, die sich in Coronazeiten weiter beschleunigte. Durch mehrere Gesetzesvorhaben initiiert, entwickelt sich in Deutschland neben den klassischen Arbeitsmärkten im Gesundheitswesen (Versorger/Kostenträger/Zulieferer/Beratung und Behörden) eine agile Gründerszene.
Drei Trends der Healthcare IT
Die seit Oktober eingeführte Versorgungsart „App auf Rezept“ macht es insbesondere jungen Unternehmen möglich, in diesem sonst stark regulierten Markt Fuß zu fassen. Das Besondere an diesen Apps ist es, dass hier der Patient zum Hauptnutzer dieser Programme wird und er dadurch in die Lage versetzt wird, seine Gesundheits selber aktiv zu gestalten. Dieser Trend muss sich in der Zukunft verfestigen, wozu es einer Verbesserung der digitalen Gesundheitskompetenz beim Patienten bedarf. Hier liegt meines Erachtens ein Schlüssel für die weitergehende Digitalisierung im Gesundheitswesen.
Um eine koordinierte Versorgung zu gewährleisten, ist meines Erachtens außerdem eine Gesamtsicht über die gesundheitsrelevanten Daten eines Patienten essenziell. Nur so kann eine integrierte Versorgung, die auch schon seit über 15 Jahren gefordert wird, gelingen. Die ab 2021 einzuführende Elektronische Patientenakte erfüllt diese Forderung aus meiner Sicht nicht!
Als Drittes möchte ich die Notwendigkeit der digitalen Kommunikation, auch sektorübergreifend, nennen. Stichwort ist hierbei die Herstellung von Interoperabilität. Während die ersten beiden Punkte sehr eng beim Versorgungsprozess selber liegen, ist die Interoperabilität insbesondere ein Thema für Informatiker.
Die Aufgaben der Healthcare IT
Die Arbeitsfelder in der Health Care IT sind vielfältig, hier haben insbesondere Informatiker:innen ihren Platz. Übrigens versucht Google seit Jahren auch in der Health Care IT mitzumischen – bisher mit eher geringem Erfolg. Die wichtigste Aufgabe ist die digitale Transformation der Versorgungsprozesse in den Krankenhäusern und Praxen, zwischen Professionals und Patient:innen. Und dann gibt es ja auch noch die Kostenträger, die mittlerweile selber zu Anbietern von Programmen geworden sind. Für diese Aufgaben dürfte der Kerninformatiker weniger geeignet sein. Richtig ist aber auch, dass Informatik im Rahmen des Digital Health Management eine wichtige Rolle spielt.
Was das Gesundheitswesen so interessant macht, ist seine mittlerweile rasante Entwicklung digitaler Angebote unter der Prämisse der Wirtschaftlichkeit, aber auch des Nutzens für die Menschen. Insofern steckt in jedem Digital Health Manager durchaus auch ein Stück eines/er Weltverbesserer:in.
Vorbereitung im Studium
Am besten bereitet man sich im Studium auf die Arbeit mit diesen Nutzergruppen vor. Nicht zu vergessen sind Patienten, beziehungsweise Bürger:innen als Nutzer digitaler Leistungen. Prozesse im Gesundheitswesen sind so komplex, und damit auch sehr spannend, dass man sich ihnen nur interdisziplinär nähern kann. Wer mit Ärzten zum Beispiel über Teleradiologie oder Teleconsulting (Allgemeinarzt zur Fachärztin) sprechen will, muss Grundzüge der ärztlichen Tätigkeit kennen. Das fängt schon bei der Sprache an: Wer ständig nachfragt, was eine Herzkathederuntersuchung ist, wird dort wenig Akzeptanz finden. Gleiches gilt auch für andere Berufsgruppen im Gesundheitswesen. Ein Praktikum während des Studiums im Gesundheitswesen, eventuell mit angeschlossener wissenschaftlicher Abschlussarbeit, ist heute fast schon ein MUSS.
Auch hinsichtlich des Patienten ist ein Rollenwechsel hilfreich, um zu verstehen, wo die Bedürfnisse liegen und wie man sie am besten abbilden kann. Wer sich zum Beispiel mit der Akzeptanzforschung befasst hat, wird hier punkten können!
Nutzerseitig: E-Health Literacy muss gestärkt werden
E-Health Literacy oder digitale Gesundheitskompetenz beschreibt die Fähigkeit einer Person (in diesem Kontext meist Patient:innen im Vordergrund), relevante Gesundheitsinformationen im Netz zu finden, sie zu verstehen und auf seine spezifische Gesundheitssituation (Prävention, Diagnostik, Therapie, …) anwenden zu können. Hierzu sind diverse Kompetenzen notwendig, die weit über den Besitz eines Smartphones oder Computers hinausgehen. Es lässt sich leicht vorstellen, dass beste Informationsangebote im Netz ins Leere laufen, wenn Bürger:innen sie nicht nutzen können. Insofern ist die Verbesserung der digitalen Gesundheitskompetenz ein wichtiges Arbeitsfeld, wenn man an die Weiterentwicklung digitaler Services in Deutschland nachdenken möchte. Übrigens geht man davon aus, dass sie in Deutschland nicht einmal bei 50 Prozent liegt, abhängig unter anderem vom Alter oder dem Bildungsniveau. Auch ökonomisch ist die Befassung damit wichtig. Wenn nur ein Teil der Bevölkerung neue digitale Angebote nutzen kann, müssen traditionelle Prozesse weiter beibehalten werden – und dass langfristige Parallelstrukturen nicht wirtschaftlich sind, ist offensichtlich.
Status Quo der Healthcare IT
IT ist teuer! Dies dürfte ein Grund dafür sein, dass die Qualität der Krankenhausinformationssysteme in Deutschland nur durchschnittlich ausfällt. In einer eigenen Studie in Zusammenarbeit mit der Krankenhausgesellschaft Schleswig-Holstein bezeichneten die Krankenhäuser ihren Reifegrad im Durchschnitt mit 5 (bei einer Skala von 1 bis 10). Der Investitionsstau im IT-Bereich dürfte im hohen Milliardenbereich liegen.
Gerade bei der Unterstützung der Kernprozesse muss IT-seitig dringend nachgelegt werden. Ein weiteres wichtiges Feld ist die Sicherheit der Systeme. In der Pandemie hat man erkannt, dass die Vernetzung in den Kliniken, aber auch zwischen den Kliniken hohe Priorität hat (man denke hier an den überbetrieblichen Ausgleich bezüglich der belegbaren Intensivbetten). Der Gesetzgeber hat aktuell ein Krankenhauszukunftsgesetz auf den Weg gebracht, das darauf abzielt, diese Lücken durch neue Investitionen zu füllen. Die Krankenhäuser schreiben schon fleißig an Anträgen. An dieser Aufgabe lässt sich auch wieder gut die notwendige Interdisziplinarität ablesen. Kein Ökonom oder Krankenhausmanager wird ohne medizinische und technologische Unterstützung einen solchen Antrag schreiben können.
Die Karrierewege in der Healthcare IT
Ob man als junge:r Absolvent:in lieber bei einem IT-Dienstleister oder einem Krankenhaus/Klinikverbund einsteigt, ist eine persönliche Entscheidung. Die Alternativen sind sind jedenfalls sehr umfangreich In der Klinik lockt der Weg bis zum CIO, wobei mehr strategische Fragestellungen den Arbeitsalltag bestimmen werden. Beim IT-Produzenten und -Dienstleister ist man dann eher auf der Entwicklungsseite. Die Entwicklungsphase der Healthcare IT wird noch viele Jahre andauern, ja nie zu einem Ende kommen, wobei technologische Trends, wie die Zunahme mobiler Angebote für Patienten, eine ständige Anpassung notwendig machen werden. Aber wer Programme und Systeme entwickeln will, und darauf möchte ich immer wieder hinweisen, muss die Prozesse verstehen!
Die Nachfrage nach einschlägigen Absolventen bei Krankenkassen hat ebenfalls stark zugenommen. Da ihre Versicherten digitale Angebote nachfragen, müssen die Krankenkassen eigene Angebote entwickeln (zum Beispiel Gesundheits-Coaches) oder größere Systeme in Auftrag geben (zum Beispiel aktuell die Elektronische Patientenakte). Da viele Krankenhäuser (und zwar die eher kleineren) das notwendige Know-how nicht im eigenen Haus haben, werden auch in der Zukunft Heerscharen von Beratern in den Einrichtungen zu finden sein.
Meine Ausführungen werden auch deutlich gemacht haben, dass viele Lösungen in der Entwicklung sind. Forschungseinrichtungen, Hochschulen, Behörden und Verbände sind weitere mögliche Arbeitgeber für Absolventen. Ich denke, dass jeder Absolvent nach seinen Neigungen einen spannenden und dauerhaften Arbeitsplatz finden kann. Diese Aussage gilt übrigens auch international. Healthcare IT ist für die Welt ein zentrales Thema!
Ich wünsche mir die Entwicklung intelligenter und vernetzter IT-Services für geeignete Prozesse im Gesundheitswesen, innerhalb der Professionals agieren, aber auch hinsichtlich der Versorgung der Patienten in ihrer jeweiligen Gesundheitssituation. Ein Beispiel dafür ist für mich die seit Oktober 2020 gegebene Möglichkeit, Rezepte über Apps zu beziehen. Anspruchsvolle Projekte wie zum Beispiel die Elektronische Patientenakte (EPA) – Krankenkassen sind verpflichtet, ihren Versicherten ab dem 1.1.2021 eine EPA anzubieten – werden wohl wieder etwas mehr Zeit als geplant bis zum Roll-out benötigen. Gerade wurde veröffentlicht, dass zirka 40 Prozent der Versicherten davon noch nie etwas gehört hatten.
Unser Arbeitsfeld hat seit vier Jahren eine dynamische Entwicklung durchgemacht. Wichtig ist es nun, dass dieser angeschobene Entwicklungsprozess weitergeht, unter Beteiligung aller Stakeholder.
Zum M.Sc. Studiengang Digital Health Management an der MSH Medical School Hamburg
Zwei Punkte möchte ich dazu herausstellen: Zum einen wendet sich dieser Masterstudiengang an die Absolventen vielfältiger Bachelor-Abschlüsse. Ökonomen sind genauso willkommen wie Mediziner, Gesundheitswissenschaften oder Informatiker. Damit bilden wir genau die Zielgruppen ab, mit denen es die Absolvent:innen im Berufsfeld zu tun haben werden. Das bedeutet also, dass die Studierenden während des Studiums, in den Projektstudien, bereits die Denkweisen und Begrifflichkeiten kennenlernen. Man könnte sagen, wir bilden einen Mikrokosmos des Gesundheitswesens ab. Damit einher geht die Interdisziplinarität. Medizin, Ökonomie sowie Technologie stellen die Säulen unseres Angebots dar. Angereichert durch die Vermittlung von Sprachkompetenz sowie von Softskills werden unsere Absolventen selbstbewusst in den Arbeitsmarkt eintreten.
Autor:
Prof. Dr. Roland Trill, Medical School Hamburg, Studiengangkoordinator
Die MSH Medical School Hamburg – University of Applied Sciences and Medical University ist eine private, staatlich anerkannte Hochschule mit Sitz in der Hamburger HafenCity. Die Herausforderungen im Gesundheitswesen fordern eine fachübergreifende Herangehensweise der beteiligten Akteure und die Bereitschaft zur engen Zusammenarbeit der verschiedenen Berufsgruppen. Das Profil der MSH ist deshalb geprägt von einem durchgängig interdisziplinären Anspruch. Ziel der zahlreichen Bachelor- und Masterstudiengänge ist daher eine Ausbildung in der Medizin, den Gesundheitsberufen und allen interdisziplinären Teams tätigen Berufsgruppen, die nicht an den Grenzen des jeweils eigenen Faches endet.
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