Auf kommunale Arbeitgeber kommen gewaltige Aufgaben zu. Die Digitalisierung erfordert IT-Know-how und für Investitionen in die kommunale Infrastruktur werden weitere MINT-Absolventen benötigt. Gleichzeitig geht mit den gestiegenen Anforderungsprofilen ein Rückgang der Beschäftigten einher. Wir sprachen mit Professor Dr. Bernd Helmig, Lehrstuhlinhaber für „Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Public & Nonprofit Management“ der Universität Mannheim.
Prof. Helmig, in welcher Situation befinden sich die kommunalen Arbeitgeber in Hinblick auf die Herausforderungen im Personalmanagement?
Kommunale Arbeitgeber spüren diese Herausforderungen natürlich besonders stark, auf der kommunalen Ebene ist ein gutes Drittel der öffentlich Beschäftigen angesiedelt. Da auch die Konkurrenz am allgemeinen Arbeitsmarkt zunimmt, müssen kommunale Arbeitgeber in ein modernes Personalmanagement investieren. Das kann im Grunde auf zwei Ebenen geschehen. Zunächst bedarf es starker Arbeitgebermarken zur Differenzierung gegenüber der Privatwirtschaft. Darüber hinaus sind Rekrutierungsinstrumente und -prozesse meistens ein Knackpunkt, weil flexible Strukturen fehlen.
Wir haben die Karriere-Webseiten kommunaler Arbeitgeber analysiert und wenig überraschend festgestellt, dass sie nicht annähernd den Standard von Unternehmen erreichen, mit denen man um die gleichen Zielgruppen konkurriert. Wer trägt in so einer Verwaltung die Verantwortung für die Außendarstellung als Arbeitgeber?
Für Recruiting-Aktivitäten sind kommunale Arbeitgeber natürlich selber verantwortlich, aber nicht immer lohnt sich eine eigene Karriere-Website. Das kann zum Beispiel bei kleineren Kommunalunternehmen der Fall sein, wenn entsprechendes Personal für umfassendes Recruiting und Employer Branding fehlt. Für solche Organisationen bieten sich Zusammenschlüsse innerhalb der Branche an, zum Beispiel im Verband kommunaler Unternehmen (VKU). Bei Kommunen selber sind die Kapazitäten aber oft vorhanden, trotzdem gibt es Verbesserungsbedarfe. Das liegt mitunter an formalisierten Prozessen, welche die Freiheiten für Personalabteilung stark einschränken und Innovationen hemmen. Hier müssen vorhandene Strukturen hinterfragt werden, die Personalverantwortlichen brauchen mehr Kompetenzen und Freiheiten.
Im Personalmarketing gilt schon seit Längerem, dass man mit klassischen Stellenanzeigen im „War for Talents“ nicht weit kommt. Deswegen wird Storytelling immer wichtiger. Womit könnten kommunale Arbeitgeber punkten?
Kommunale Arbeitgeber können vor allem mit dem Dienst am Gemeinwohl punkten. Das ist ein Faktor der auch durch die Covid-19 Pandemie nochmal an Zugkraft gewonnen hat. Junge Menschen wollen Tätigkeitsfelder mit einem greifbaren Sinn für sich erschließen. Das zeigen diverse Umfragen bei Schülern und Studenten. Weitere Faktoren wie Jobsicherheit oder flexible Arbeitsmodelle wie Teilzeit stärken den Eindruck von Krisensicherheit. Kommunale Arbeitgeber können hier ein klares Werteversprechen geben. Kombiniert man das mit zielgruppenorientiertem Personalmarketing ermöglicht das die Erschließung eines soliden Bewerberpools.
Öffentliche Arbeitgeber stellen wir dir in deinem Karrierenetzwerk vor.
Übliche Prozesse wie Studierendenbindungsprogramme oder Praktika sind kommunalen Arbeitgebern oft fremd. Müssten sich die öffentlichen Arbeitgeber nicht viel mehr öffnen und aktiver und früher auf die dringend benötigten Fachkräfte zugehen? Oder, anders gefragt: Ist es nicht zu spät, wenn das Recruiting erst zum Abschluss stattfindet, wo Stellenangebote untergehen gegenüber der starken Konkurrenz?
Öffentliche Arbeitgeber fokussieren sich stark auf passives Recruiting. Anstatt also aktiv potentielle Bewerber anzusprechen, wird lieber abgewartet, auch um niemanden zu bevorteilen. Dieser Umstand ergibt sich aus Gleichbehandlungsgrundsätzen. Denkbar wäre trotzdem, dass sich öffentliche Arbeitgeber stärker zusammenschließen, um größere Sichtbarkeit auf den Arbeitsmärkten und eben auch beim Nachwuchs zu erzeugen. Gerade in der aktuellen Krisenlage wäre es sinnvoll, wenn es übergeordnete Kampagnen gäbe, zum Beispiel für den öffentlichen Dienst allgemein. Eine vorsichtige Annäherung sind Kampagnen für Berufsfelder, wie die Pflegeberufe. Daran sieht man, dass es in die richtige Richtung geht, aber eben primär gemeinsam.
Für welche Persönlichkeitstypen haben Öffentliche Arbeitgeber durchaus ihren Reiz?
Ich denke nicht, dass sich das pauschalisieren lässt, wobei gewisse Merkmale wie engmaschige Regelwerke und Hierarchien natürlich zu berücksichtigen sind. Damit muss man umgehen können. Oft sind prosoziale Motive und eine ausgeprägte Gemeinwohlorientierung wichtig. Entsprechende Persönlichkeiten werden eine Vielzahl von Bedürfnissen im öffentlichen Dienst erfüllt sehen. Entscheidend ist aber die individuelle Passung. Für potenzielle Bewerber ist es also entscheidend zu identifizieren, was zum eigenen Profil passt und den eigenen Wünschen entspricht.
Der größte Unterschied zur Privatwirtschaft liegt eigentlich in der Strukturierung der Karrieren. Die Privatwirtschaft ist hierbei viel mobiler und flexibler mit Blick auf die Laufbahnen. Zwar wird der öffentliche Dienst auch hier flexibler, dennoch sind Karrierewege vergleichsweise starr.
Die Städte und Regionen konkurrieren nicht nur mit Arbeitgebern der freien Wirtschaft, sondern auch untereinander. Wenn Sie heute ein begehrter MINT-Absolvent wären, nach welchen Kriterien würden Sie die Stadt aussuchen, bei der Sie sich bewerben?
Leider ergibt sich diese Konkurrenz vor allem dadurch, dass sich öffentliche Organisationen selten zusammenschließen. Wenn Bemühungen gebündelt würden, könnte dies den verfügbaren Bewerberpool für alle kommunalen Arbeitgeber vergrößern.
Davon abgesehen stellt sich zunächst die Fragen des Tätigkeitsfeldes, beispielsweise unterscheiden sich IT-Tätigkeiten recht stark in Abhängigkeit von Branche und Arbeitgeber. Aber generell denke ich, dass es sinnvoll ist, die Kompetenzen und Freiheiten zu eruieren, welche zugestanden werden. Gibt es echte Verantwortlichkeit und Mitsprache bei fachlichen Fragen und der Gestaltung von Prozessen? Ist dies nicht der Fall, kann es mitunter frustrierend werden.
Die Gehaltsunterschiede im Vergleich zu Industrie, Consulting oder anderen konkurrierenden Branchen werden oft als Argument angeführt, warum High Potentials nicht bei Öffentlichen Arbeitgebern ihre Karriere starten. Wie ausgeprägt sind diese Gehaltsdifferenzen und hat man als Kandidat auch die Möglichkeit, bessere Konditionen zu verhandeln?
Insgesamt ist die Höhe der Einstiegsgehälter, in Abhängigkeit von der Branche, geringer. Das gilt vor allem für Absolvent:innen. In Ausnahmefällen können übertarifliche Gehälter bezahlt werden, auch im MINT-Bereich. Besonders im IT-Bereich erwarten wir aber Gehaltsanstiege und auch Zuzahlungen durch Verpflichtungsprämien. Der öffentliche Sektor zieht hier bereits nach. Auf individueller Ebene sind die Möglichkeiten beim Gehalt zu verhandeln, allerdings beschränkt.
Wenn in der Verwaltung kein Umdenken hinsichtlich der sehr passiven Personalarbeit stattfindet, welche Folgen hat dies für die Städte?
In der aktuellen Situation wird ja oft von einer Personallücke von etwa 730.000 Beschäftigten gesprochen. Dieser prognostizierte Fachkräftemangel wird es Kommunen zusätzlich erschweren, öffentliche Aufgaben, vor allem sogenannte freiwillige Aufgaben, zu erbringen. Das wirkt sich mittelfristig sicherlich auf die Lebensqualität vieler Bürger aus. Insofern wäre es wünschenswert, dass kommunale Arbeitgeber mit der Zeit gehen und im Idealfall gemeinsam Recruiting-Aktivitäten modernisieren.
Professor Helmig ist seit 2008 Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Public & Nonprofit Management an der Universität Mannheim. Zuvor forschte und lehrte er als Ordinarius und Institutsdirektor an der Universität Freiburg Schweiz (2001-2008). Ferner erhielt Prof. Helmig Rufe auf Lehrstühle an die Universität Hamburg, die Technische Universität München und die Ludwig-Maximilians-Universität München, die er jedoch allesamt nicht annahm. Eingeladene Forschungs- und Lehraufenthalte führten Prof. Helmig u. a. an die Harvard Business School, die University of Edinburgh, die Wirtschaftsuniversität Wien sowie die Stanford University.
Prof. Helmig ist Mitglied der Herausgeberbeiräte einer Vielzahl wissenschaftlicher Fachzeitschriften und (Mit-)Autor sowie (Mit-)Herausgeber von 15 wissenschaftlichen Monographien und circa 100 wissenschaftlichen Beiträgen in Zeitschriften und Büchern.
Die Wissenschaftler:innen am Lehrstuhl von Professor Helmig beschäftigen sich mit verschiedenen Themen rund um professionelles Management in gemeinwohlorientierten Organisationen, wie beispielsweise Performance Measurement, Führung oder Human Resources Management. Auftrag der Lehrstuhlmitarbeiter:innen ist es, Wissen zum Management in gemeinwohlorientierten Organisationen zu generieren und weiterzugeben. Dieses Wissen wird mittels Grundlagenforschung, angewandter Forschung und Auftragsforschung generiert.