Exogene Schocks, intelligente Technik, verändertes Kaufverhalten – im (Einzel-)Handel wird es nicht ruhig. Prof. Dr. Andreas Kaapke von der DHBW Stuttgart benennt die wichtigsten Trends für den Handel, ihre möglichen Konsequenzen – und gibt einen ganz persönlichen Tipp, wie du in deinem Vorstellungsgespräch positiv punkten könntest!
Prof. Kaapke, während der vergangenen Jahre musste der Onlinehandel eine stark gestiegene Nachfrage bedienen, die nun wieder abflacht und der stationäre Handel hatte unter der Pandemie zu leiden. Beruhigt sich die Branche derzeit wieder oder gibt es neuen Anlass zum Wandel?
Die Neusortierung läuft definitiv noch, denn nach der Pandemie folgten weitere exogene Schocks: die Energiekrise beispielsweise oder auch die Inflation, von der gerade der stationäre Handel betroffen ist. Transportkosten, (Index-)Mieten, Personal- und Materialkosten sind signifikant angestiegen. Es stellt sich die Frage, ob man stationär ein neues Geschäftsmodell entwickeln muss. Insgesamt sind Lieferengpässe deutlich häufiger geworden, ob das nun am blockierten Suezkanal lag oder anderen Gründen. Die Lieferketten stehen weiterhin stark unter Druck und das merken auch die Onlineläden, die allerdings erst einmal mit der sinkenden Nachfrage klarkommen müssen.
Trend 1: Teilweise Unsicherheit wegen der aktuellen Lage
Könnte das aktuelle Wanken der Banken ein weiterer exogener Schock werden?
Natürlich könnte es sich auswirken, wenn weniger bis keine Kredite zur Verfügung gestellt werden. Zudem verschlechtern sich die Kreditbedingungen, was für einen Investitionsstau sorgt. Zudem sind seit der Pandemie viele Rücklagen des Handels aufgebraucht. Sollte nach der Credit Suisse kein Domino-Effekt eintreten, erleben wir gerade nur ein kleines Beben. Man darf auch nicht vergessen: Banken haben einen großen Vorteil – sie werden als systemrelevant angesehen, weil die Bevölkerung dort ihre finanziellen Sicherheiten hat. Stand heute gibt es aus meiner Sicht keinen Grund, vom Schlimmsten auszugehen, aber die Konsequenzen bleiben abzuwarten.
Wir sprechen immer von „dem“ Handel, Leser:innen denken dabei typischerweise an den Einzelhandel. Da ist man gedanklich schnell in der Einkaufsstraße einer Innenstadt. Hat das als Shopping-Konzept bald ausgedient?
Hier würde ich auf jeden Fall differenzieren: In kleineren Kommunen gibt es schon seit circa 2 Jahrzehnten die Entwicklung, dass sich die Geschäfte auf wenige begrenzen, die eher den täglichen Bedarf decken. Damit meine ich Ortschaften bis circa 2.000 Einwohnern. In Mittelzentren, einem Gebiet rund um eine Großstadt werden wir sehen, dass es sich auf einen noch härteren Kern konzentriert und die Nebenlagen an Wert verlieren. In den Oberzentren wie einer Landeshauptstadt mit einem hohen Einzugsgebiet wird die Einkaufsmeile bestehen bleiben. Die Nebenmeilen auch, nur wird die Konzentration steigen. Besorgniserregend ist beispielsweise – aus Sicht der Städte – die Entwicklung von Galeria Karstadt Kaufhof. In jeder Stadt, in der so ein riesiges Kaufhaus steht, hat man im schlimmsten Fall eine Immobilie, die mit über 15.000 Quadratmetern leer steht. Für eine attraktive Einkaufsmeile kann man das mit einem faulen Zahn vergleichen oder einem Abschmelzungsprozess.
Trend 2: Weniger Kapitalbindung
Die Filialen von C&A verfügen auch über extrem große Fläche, was mit einer starken Kapitalbindung wegen der physisch vorhandenen Ware einhergeht. Welche Änderungen erwarten uns hier?
Die Veränderungen haben wir ja schon: Das Konzept des großen Warenhauses wurde von Shoppingmeilen übernommen, die – statt ein großer Anbieter zu sein – ihre Fläche auf viele kleine verteilen und damit das Risiko der Abhängigkeit minimieren. Gerät hier jemand in Schieflage, dann eben nicht gleich die ganze Immobilie. Ein großes, vielseitiges Angebot unter einem Dach zu haben, ist weiterhin attraktiv – nichts anderes macht auch Amazon. Das Ziel dahinter ist ganz klar und bestechend einfach: es dem Kunden bequem zu machen, das hat absolute Magnetwirkung.
Dagegen haben große Kaufhäuser ein Positionierungsproblem. Die Kunden verbinden mit C&A ein günstiges Klamottenkaufhaus, aber mit Galeria Karstadt Kaufhof, wo es quasi alles gibt? Will man Kunden anziehen, muss man bei konkreten Produktgruppen auf Platz 1 der Assoziation stehen. So viele Produktgruppen, wie Galeria Karstadt Kaufhof, müssen das noch dazu mehrere sein. Diese Prägung oder Profilierung ist sehr schwer zu erreichen.
Trend 3: Angepasste Geschäftsmodelle, neue USPs
Ich denke, vor dem Hintergrund der Bequemlichkeit müssen wir mehr über Komplettlösungen nachdenken. Nehmen wir das Beispiel der Versicherungsbranche: Ihr Zweck ist es, im Schadensfall eine Ausgleichszahlung vorzunehmen. Derzeit kaufen Versicherer allerdings Handwerksunternehmen auf, um nicht nur die Schadensleistung monetär zu kompensieren, sondern den Schaden selbst zu beheben. Gebündelt wird das alles in einer Dienstleistungsgesellschaft. Übertragen auf den Handel heißt das, dass Services wie die Montage noch stärkeren Einzug erhalten.
Könnte sich der stationäre Handel aber nicht, Stichwort „verlängerte Ladentheke“ und „intelligente Technik“, neue USPs erarbeiten?
Hier kommt es auf genau die angesprochenen Warengruppen an. Überall, wo das Bedürfnis des An- und Ausprobierens besteht, könnte man Technik einsetzen. Ist beispielsweise ein Poloshirt nur in einer Farbe pro Größe da, könnte VR/AR helfen, unterschiedliche Farben zu simulieren. Das würde zeitgleich die Kapitalbindung senken. Man könnte auch direkt die Bestellung vom Kunden auslösen lassen, der entscheidet, wohin das Shirt in welcher Farbe geliefert werden soll, damit der Umweg über die Kasse entfällt. Natürlich erfordert die Technik damit eine Schnittstelle zur Warenwirtschaft und ist damit als Investition je nach Geschäftsgröße und Zahl der Filialen nicht ganz günstig. Die Quintessenz ist: Kunden haben Ansprüche, die sie erfüllt sehen wollen. Online funktioniert der Einsatz von Chatbots und KI-Anwendungen, stationär muss etwas anderes ausprobiert werden.
Trend 4: Nachhaltigkeit im Handel als langfristiges Geschäftsmodell
Könnte Nachhaltigkeit ein solcher USP werden?
Mit Sicherheit, das haben etwa Baumarktketten schon lange für sich entdeckt und beispielsweise Juweliere übernehmen das Konzept bereits: Die shared economy. Man muss sich für den Hochzeitstag kein teures Geschmeide mehr kaufen, man kann es sich für eine begrenzte Zeit leihen. So, wie man sich im Baumarkt ein Gerät mieten kann, anstatt es für seltenen Gebrauch zuhause komplett kaufen zu müssen. Seitens der Geschäfte amortisieren sich die Anschaffungen ziemlich schnell. Das Leihmodell als Geschäftsmodell ist sehr zukunftsträchtig.
Wenn Sie gerade in einem Vorstellungsgespräch bei einem Handelskonzern säßen, mit welcher Frage würden Sie den Recruitern gerne Kompetenz zeigen?
Persönlich würde ich eine klassische Frage umdrehen: Oft wird ja gefragt, wo man sich selbst in 5 bis 10 Jahren sieht. Ich würde fragen: „Wenn ich mich bei Ihnen bewerbe, mache ich das mit einer gewissen Perspektive. Wo sehen Sie das Unternehmen hinsichtlich der Digitalisierung, wie stellen sie sich das Unternehmen in paar Jahren vor?“ So kann ich prüfen, ob die Entwicklung zu meinen eigenen Zielen passt. Wir sind schließlich in einer absoluten Transformationsphase. Ich, gerade als junge:r Berufseinsteiger:in, bin ja nicht nur am Hier und Jetzt interessiert, ich will langfristig tätig werden. Wer sich in sowas hineindenken kann, hat gute Karten für die Zukunft.